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The Innocents (mit Audio)

Anspruchsvoller und ungewöhnlicher Horrorthriller über vier Kinder

Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Frankreich, 

  Vereinigtes Königreich, Bulgarien, Kanada 2021        

Regie: Eskil Vogt                             

Laufzeit: 117 Minuten

 

Handlung: Ida und ihre mental beeinträchtigte Schwester Anna ziehen mit ihren Eltern in eine Hochhaussiedlung und lernen dort in den Sommerferien zwei weitere Kinder kennen: Ben und Aisha. Ben ist der Erste, bei dem sich ungewöhnliche Kräfte zeigen: Er kann einen kleinen Stein mit Gedankenkraft bewegen. Aber auch die anderen Kinder erkunden in diesen Ferien unbeobachtet von ihren unterschiedlichen Elternhäusern ihre sich langsam entwickelnden Superkräfte. Mit katastrophalen Folgen.

 

Besprechung: In „Die Unschuldigen“ erleben wir Kinder in ihrer Abhängigkeit von Erwachsenen, in ihrer Einsamkeit, Angst und Verletzlichkeit, aber auch in ihrer Gemeinheit und in ihrem Kampf um Unabhängigkeit. Und wir erleben ihre gewaltigen Kräfte, die sie so unschuldig (?) wie unbedacht nutzen. 

 

Beeindruckende Kinderdarsteller*innen, naturalistische Fotografie mit Gespür für subtile Schönheit, eine originelle, zu Interpretationen inspirierende Geschichte und nicht zuletzt eine gnadenlose Grimmigkeit machen diesen Film zu einem Geschenk für Fans von slowburn arthouse Dramahorrorfilmen

 

Content Note: Die Katze stirbt. Und das ist erst der Anfang.

 

IMDB-Rating: 7 von 10

Letterboxd-Rating: 3.6 von 5                                                                                                    

Neft-Rating: 4 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Wie lange ist ein Mensch unschuldig? Ab welchem Alter können wir die Konsequenzen unserer Taten überblicken und sind dann deshalb dafür verantwortlich? Es gibt Menschen, die schon kleine Kinder für manipulativ halten und meinen: „Diese kleinen Teufel wissen genau, was sie da tun!“ Andere sehen selbst angeblich gesunde Erwachsene als so stark von unbewussten Emotionen und Traumareaktionen beherrscht, dass sie deren negatives Verhalten als nicht rundum absichtsvoll betrachten. Platon, der neben Aristoteles einflussreichste antike Philosoph, hielt böses, also fremd- oder selbst-destruktive Verhalten für das Ergebnis von Dummheit und Unwissen. Niemand, der wirklich vernünftig sei, könne das Schädliche dem Nützlichen vorziehen, auch nicht für andere. Als Beispiel hier ein Zitat aus seinem Text Protagoras (345d9-e3):

 

„Ich wenigstens glaube dieses, dass kein weiser Mann der Meinung ist, irgendein Mensch tue Schlechtes aus freier Wahl oder vollbringe irgendetwas Böses oder Schlechtes aus freier Wahl, sondern sie wissen wohl, dass alle, welche Böses und Schlechtes tun, es unfreiwillig tun.“

 

Mindestens unser Rechtssystem basiert aber durchaus auf der Vorstellung, dass man Böses bewusst und freiwillig tun und eben auch bewusst lassen kann. Eine Ausnahme bilden Menschen, die als schuldunfähig oder noch nicht als strafmündig gelten. Nicht strafmündig sind in Deutschland seit 1923 Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren. Mit der Schuldunfähigkeit (früher: Unzurechnungsfähigkeit) ist es etwas komplizierter, und Psycholog*innen oder Psychiater*innen werden herangezogen, um entsprechende Gutachten über Straftäter*innen zu verfassen. Laut dem von Markus Antonius Wirtz herausgegeben Lexikon der Psychologie (1) besteht die Aufgabe psychologischer Sachverständiger darin, dem Richter die entsprechenden psychischen Erlebens- und Verhaltensweisen sowie ihre konkreten Auswirkungen auf das Tatverhalten als Voraussetzung für eine potenzielle Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit darzulegen.

 

Ich finde die Frage spannend, worin sich ein betrunkener, ein mental beeinträchtigter, ein zorniger, ein in kriminellen Verhältnissen aufgewachsener, ein psychotischer oder ein von Minderwertigkeitsgefühlen und Rachedurst getriebener Mensch hinsichtlich ihrer Schuldfähigkeit unterscheiden. Das ist keine rhetorische, sondern eine offene Frage, die in meinen Augen noch interessanter wird, wenn man bei sich selbst ansetzt. Die meisten von uns halten sich sicher für zurechnungs- und schuldfähig. Wenn wir aber etwas Destruktives tun und nachher auf uns in diesem Moment zurückblicken, ist es so, als sei ein Teil von uns übermächtig und ein anderer abgestellt gewesen. Das gilt womöglich nicht nur für echte Straftaten, sondern auch für kleinere Vergehen und „Unbeherrschtheiten“. Anders gefragt: Kann man im vollen Bewusstsein richtig Mist bauen? Oder muss das Bewusstsein in irgendeiner Weise getrübt und verzerrt sein? Davon abgesehen: Ja, natürlich zweifeln manche Neurowissenschaftler*innen ohnehin an der menschlichen Willensfreiheit und sehen teilweise auch unser Strafrecht skeptisch. (2)

 

(1) https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/schuldfaehigkeit

(2) https://www.sueddeutsche.de/wissen/gehirnforschung-solln-und-suehne-1.41108

 

Lektürehinweis: https://ekaiser.de/methoden-der-diagnostik-zur-frage-der-schuldfaehigkeit/

 

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