King meets Lovecraft
• USA 2007
• Regie: Frank Darabont
• Laufzeit: 126 Minuten
Handlung: Nach einem Sturm wollen David und sein kleiner Sohn Billy im örtlichen Großmarkt ein paar Sachen einkaufen, um sich an die Reparatur des Eigenheims zu machen. Ein ungewöhnlich dichter Nebel zieht auf. Einwohner der Kleinstadt flüchten blutüberströmt in den Supermarkt und berichten von monströsen Kreaturen. So verschanzt sich schließlich eine größere Gruppe an Menschen in dem Marktgebäude und diskutiert darüber, wie es weitergehen soll. Nicht alle glauben an die Gefahr im Nebel. Andere wiederum sehen in den Vorfällen ein Strafgericht Gottes. Die Situation inner- und außerhalb des Supermarktes wird zunehmend bedrohlich.
Besprechung: Unter den unzähligen Filmen, die sich auf einen Roman, eine Erzählung oder eine Kurzgeschichte von Stephen King berufen, ist das eine der besseren. Trotzdem scheint sie ein Geheimtipp geblieben zu sein, denn weder ist der Film besonders bekannt, noch wird er in der Regel mit Stephen King assoziiert. Dabei haben wir wieder einmal das typische King Kleinstadtsetting, und im örtlichen Supermarkt versammelt sich ein Querschnitt durch die amerikanische Gesellschaft, bei dem Rechtsanwalt auf Klempner und Biker auf Betschwester trifft. Dabei ist keine der Figuren tief gezeichnet, es sind mehr Typen als komplett individuelle Charaktere. Das macht es leichter, die Dynamik zwischen den Menschen abzubilden. Und es erhöht die Zugänglichkeit auf Kosten von Originalität. Man kennt das alles irgendwie schon und fühlt sich schnell zu Hause. Gleichzeitig ist das Aufeinanderprallen der holzschnittartig gezeichneten Figuren keineswegs uninteressant, denn die skizzierten Konflikte sind alltagsnah und nachvollziehbar. Zumindest so lange, bis eine psychotische religiöse Eiferin mehr und mehr Menschen auf ihre Seite zieht und eine Art Kult etabliert, der kaum weniger gefährlich ist als die Monster im Nebel.
Handwerklich ist der Film mit seinem Budget von 18 Millionen Dollart gut gemacht. Allerdings stammen die Kreaturen aus dem Computer, was mal okay, mal aber auch weniger zwingend aussieht. Die löblicherweise spärlich eingesetzte Musik ist konventioneller Hollywood-Score, aufgepeppt mit dem aufdringlich-mystischen Song-Auszug „Host of Seraphim“ von der Darkwave-Band „Dead can Dance“. Die Schauspieler*innen verstehen allesamt ihr Handwerk, aber Toby Jones als Supermarktangestellter stiehlt der leider eher hölzernen Hauptfigur David (Thomas Jane) die Show.
Der Film mit seinem üppigen Figurenensemble ist über zwei Stunden lang, fühlt sich aber kürzer an und kann mit einem für diese Art von Film ungewöhnlichen und eindrucksvollen Ende punkten. Dieses Finale hebt den nett-nostalgischen Film mit seinem gut genutzten Supermarktsetting dann auch eindeutig über den Durchschnitt.
Trivia: Ursprünglich wollte Regisseur Frank Darabont aus der King-Geschichte „Der Nebel“ sein Langfilm-Debüt machen. Stattdessen debütierte er aber mit einem anderen King-Stoff, nämlich dem hochgelobten Gefängnis-Drama „Die Verurteilten“ (The Shawshank Redemption). Danach überzeugte er mit der Verfilmung von „The Green Mile“, ein weiterer King-Stoff, der nicht dem Horrorgenre zuzurechnen ist.
In der Eröffnungsszene sieht man David in einem kleinen Atelier malen. Das Bild, an dem er arbeitet, ist ein Cover der Stephen King Romanreihe „Der dunkle Turm“. In dem Atelier hängt auch ein Poster von John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“. Beide Bilder stammen – wie auch das Filmplakat von „Der Nebel“ – vom US-amerikanischen Künstler Drew Struzan.
Es gibt eine Schwarz-Weiß-Version des Films, die ich besser finde als die Farbfassung. Zum einen wirken die CGI-Effekte weniger künstlich, zum anderen unterstreicht das Schwarz-Weiß-Format das Parabelhafte der Geschichte und stellt einen interessanten Bruch mit der am Mainstream orientieren Inszenierung dar.
IMDB: 7.1 von 10
Letterboxd-Rating: 3.4 von 5
Neft-Rating: 3.5 von 5
// HOPSYS GEDANKEN
Frank Darabont sagte über den Film: „The story is less about the monsters outside than about the monsters inside, the people you're stuck with, your friends and neighbors breaking under the strain.“ Psychologisch ist natürlich die Frage interessant, wie sich das denn nun mit Menschen in Angst- und Stresssituationen verhält. Neigen sie tatsächlich dazu sich (verrückten) Führern unterzuordnen, Sündenböcke für ihre Lage zu suchen und mit (Menschen-)opfern die bedrohlichen Mächte besänftigen zu wollen?
Tatsächlich gibt es einige Indizien dafür, dass Menschen in neuartigen, komplexen und sie überfordernden Situationen auf einfache und bereits vorgefertigte Erklärungsmodelle zurückgreifen. In monotheistisch geprägten Kulturen ist die Idee einer Strafe Gottes nicht abwegig. Auch die Idee, dass böse Menschen an Katastrophen schuld sind und bestraft werden müssen, um Gott zu besänftigen, ist (nicht nur) im abendländischen Denken gut etabliert. Der Religionsphilosoph René Girard sah im von ihm so benannten „Sündenbockmechanismus“ sogar eine grundlegende Konstante der menschlichen Kultur: Eine Gemeinschaft, die an inneren Spannungen oder der Bedrohung durch eine Katastrophe zu zerbrechen droht, kann sich durch einen Sündenbock wieder stabilisieren. Eine Bedrohung, die nicht bekämpft werden kann, wird auf einen Menschen oder eine Menschengruppe umgedichtet, die man sehr wohl bekämpfen kann. Bei diesem Kampf wird das Gemeinschaftsgefühl wieder gestärkt. Entsprechend sah Girard im Kreuzigungstod von Jesus Christus eine ganz besondere Geschichte vom „Ende der Gewalt“ (ein 1978 erschienenes Buch von Girard heißt auf Deutsch „Das Ende der Gewalt. Analyse des Menschheitsverhängnisses. Erkundungen zu Mimesis und Gewalt mit Jean-Michel Oughourlian und Guy Lefort.“) Indem sich Gott selbst zum Sündenbock macht, durchbricht er den Kreislauf aus Gewalt und Gegengewalt unter den Menschen. Ob Girard damit den spirituellen Kern des Christentums trifft, ist diskussionswürdig. Dabei ist auch zu bedenken, dass das Menschenopfer kulturgeschichtlich oft nicht an einen Sündenbockmechanismus gekoppelt sein muss. Eine Vertiefung der hier nur angerissenen Thematik würde zu weit führen.
Der Begriff „Sündenbock“ taucht auch im 1964 publizierten „Sociological Theory“ des US-amerikanischen Soziologen Lewis A. Coser auf. Er bezeichnet damit, keineswegs unvereinbar mit Girard, eine Verschiebung von sozialen Konflikten, die sich nicht ausfechten lassen (realistic conflicts), auf ausgedachte Konflikte, die sich aber konkret ausfechten lassen (unrealistic conflicts). Mrs. Carmody, die religiöse Fanatikerin in „Der Nebel“ mag psychisch krank sein und obendrein eine ziemlich selbstverliebte Frau. Aber sie gibt den verängstigten Menschen im Supermarkt das Gefühl: Es gibt eine Erklärung für das, was hier mit uns passiert. Und wir können etwas dagegen unternehmen.
Sinnzusammenhang und Kontrollgefühl werden so in einer zutiefst verunsichernden Situation gewahrt und helfen der Gruppe ziemlich unterschiedlicher Individuen sich als Gemeinschaft zu begreifen. Das allerdings auf Kosten derer, die als Sündenböcke markiert werden.
In der Psychologie gibt es verschiedene Erklärungsansätze für das Sündenbockphänomen, vom klassisch psychoanalytischen, über das Dual-Motiv-Modell nach Rothschild bis zum
ideologischen Modell nach Glick. Eine kurze Erläuterung dieser Modelle findet sich hier.
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