Bahnbrechender Klassiker des Terrorfilms
• USA 1974
• Regie: Tobe Hooper
• Laufzeit: 83 Minuten
Handlung: Fünf junge Menschen fahren vergnügt mit dem VW-Bus durch das ländliche Texas. Halten an, steigen aus – und erleben den Alptraum ihres (kurzen) Lebens.
Besprechung: 50 Jahre nach seiner Erstaufführung kam „The Texas Chainsaw Massacre“ dieses Jahr ungekürzt und in 4K international wieder in einige Kinos. So auch ins Hamburger „Savoy“, ein ambitioniert betriebenes, sehr schönes Lichtspielhaus, in dem auch die Hamburger Ausgabe des „Fantasy Film Festivals“ stattfindet. Am 30.10. habe ich mich mit einem Guck-Kumpel dort eingefunden, um zum ersten Mal „Leatherface“ und seine Kettensäge auf großer Leinwand zu sehen. Im nahezu ausverkauften Saal fanden sich so kurz vor Halloween auch einige Vampire, Unholde und Monster. Besonders eindrucksvoll war ein Paar, das kurz vor Filmbeginn noch eilig in weißen Geisterlaken zu seinen Plätzen schwebte. Und zum ersten Mal habe ich mich bewusst gefragt: Warum ziehen Geister eigentlich Laken über und schneiden Aussparungen für Mund und Augen rein?
Aber zum Film. Natürlich hatte ich ihn vorher schon mehrmals gesehen, aber noch nie war mir aufgefallen, dass die Schauspieler*innen alles andere als gut sind. Als Jugendlicher habe ich das berüchtigte Kettensägenmassaker ehrfürchtig in den Videorekorder geschoben, nur um später festzustellen, dass ich eine stark gekürzte Version ergattert hatte. Für eine Beurteilung der Schauspielleistung hatte ich da keinen Blick. Und auch heute spielt sie keine große Rolle, denn der Film zieht mich von Anfang an wieder in seinen Bann. Die dokumentarische Anmutung am Anfang, die durch das Reden eines Radiosprechers und die gelbstichigen Bilder eines Kadavers erzeugt wird, funktioniert heute so gut wie damals. Die Szene mit dem Tramper ist lang, seltsam und unangenehm. Und diesmal fällt mir auch auf, dass der im Rollstuhl sitzende Franklin die Hauptfigur der ersten Filmhälfte und zugleich der interessanteste der fünf jungen Menschen ist. Sicher kann man den irgendwie zurückgeblieben wirkenden und quengeligen Charakter nervig finden, aber zumindest mich berührt er auch in seiner blöden Lage. Ständig ist er auf andere angewiesen, und während die jungen Paare fröhlich hinter den Ecken verschwinden, um sich zu befummeln, muss Franklin mit seinem Rollstuhl irgendwelche Hindernisse überwinden, die für Menschen ohne Behinderung gar nicht existieren. Allein dieser Protagonist im Rollstuhl macht „TCM“ zu etwas Besonderem. Zwar gab es schon in „Das Fenster zum Hof“ einen Mann im Rollstuhl als Hauptfigur, aber Jeff (James Stewart) war nur temporär darauf angewiesen. Franklin scheint mir also hier eine Pionierfigur im Horrorfilm. Auch fällt mir kein älterer Film ein, in dem eine Kettensäge als Mordinstrument genutzt wird. Und die Bedrohung, mit der es die jungen Leute zu tun bekommen, war damals auch etwas Neues und begründete ein ganzes Genre, den Backwoods-Slasher. Vorher gab es zwar schon den fiesen, sehr kostengünstig produzierten Hinterwäldler-Film „Spider Baby“ (USA 1967), der aber zu unbekannt war und ist, um großen Einfluss ausgeübt haben zu können.
Auch TCM hatte kein großes Budget, weiß aber aus wenig sehr viel zu machen. Eine Stärke des Films sind seine Settings. Eine andere, der konsequente „show-don’t-tell“-Ansatz. Hier wird nix erklärt, die Zuschauer*innen werden einfach ins Geschehen geworfen, und müssen sich ihren eigenen Reim darauf machen. Das regt die Phantasie an. Und die erledigt dann auch den Rest. Anders gesagt: Der Film wirkt auch heute noch brutal, obwohl kaum ein Tropfen Blut fließt. Es ist nicht die gezeigte Gewalt, die schockiert, sondern die, die in unserem Kopf stattfindet. Und die letzte halbe Stunde ist eine einzige tour de force, was vor allem am Klangbild liegt. Es wird fast durchgängig geschrien, dazu zerren das Knattern der Kettensäge und die fast surreal bedrohliche Situation an den Nerven. Der schwarze Humor, der gerade in diesem Schlussakt aufblitzt, mildert das Verstörende nicht ab, sondern verstärkt es eher. Die Sicherheit der Welt löst sich in einem vollgemüllten Farmhaus zwischen Tier- und Menschenknochen auf unter dem Gelächter einer Meute, für die andere Lebewesen nur Fleisch und Spielzeuge sind. Der Boden der Zivilisation trägt hier nicht mehr. Vielleicht war er nie so stabil wie gedacht.
Und so beschwört dieser bekannteste und einflussreichste Terrorfilm der 1970er mit seiner starken Kamerararbeit, eigenwilligen Sounds und einer damals unverbrauchten Geschichte den archetypischen Horror schlechthin herauf.
Trivia: Die Werbung für den Film behauptete, dass er auf wahren Begebenheiten beruhe. Tatsächlich haben die Verbrechen des psychisch kranken Mörders Ed Gein aber nur einige wenige Parallelen zu dem Geschehen in „The Texas Chainsaw Massacre“. Die fragwürdige Authentizitäts-Suggestion trug sicher zur starken Wirkung des Films bei.
Der Score enthält Klänge, wie sie Tiere in einem Schlachthaus hören.
Im Film trägt „Leatherface“ drei verschiedene Masken: die „Killing Mask“, die „Old Lady Mask“ und die „Pretty Woman Mask“. Darsteller Gunnar Hansen erklärte, dass Regisseur Tobe Hooper und Drehbuchautor Kim Henkel damit etwas über die zerstörte Persönlichkeit des geistig unterentwickelten Mannes ausdrücken wollten. Da er eigentlich ein Niemand ist, kann er durch das Anziehen der jeweiligen Masken festlegen, welche Persönlichkeit oder Rolle er gerade haben will.
Die 4K-Restauration des Films lässt diesen glatter aussehen, was hier nicht unbedingt ein Vorteil ist. Die frühere, grobkörnigere Fassung wirkt dokumentarischer und dreckiger.
Das Original könnt ihr übrigens kostenlos hier sehen: The Texas Chainsaw Massacre (1974)
Und das Remake (auf Englisch und mit etwas Werbung) hier: The Texas Chainsaw Massacre (2003)
IMDB: 7.4 von 10
Letterboxd-Rating: 3.8 von 5
Neft-Rating: 4.5 von 5
// HOPSYS GEDANKEN
2003 drehte der deutsche Marcus Nispel in den USA ein 10 Millionen Dollar teures Remake, und es ist interessant die beiden fast 30 Jahre auseinanderliegenden Filme miteinander zu vergleichen. Nispels Regiedebüt ist durchaus solide: Die Schauspieler*innen sind besser als im Original, der Kameramann ist der selbe (Daniel Pearl), die Settings sind cool und die Splattereffekte zahlreicher. Auch wurde die Geschichte ausreichend abgeändert, um nicht zu vorhersehbar und spannungsarm zu sein. Dennoch kann der Film die Atmosphäre des Originals nicht ansatzweise erreichen und ist einfach nur ein gut gemachter Horrorstreifen ohne Langzeitwirkung. Woran könnte das liegen? Liegt es daran, dass 2003 der Überraschungseffekt eines Terrorfilms von 1974 natürlich nicht mehr gegeben ist? Schließlich haben sich in drei Jahrzehnten die Sehgewohnheiten geändert, und was in den 1970ern die üblichen Vorstellungen von Horror sprengte, ist in den 2000ern längst Allgemeingut geworden. Meiner Ansicht nach ist das allerdings höchstens ein Teil der Erklärung. Für mich sind ein paar handwerkliche Aspekte ausschlaggebender. Nispels Remake setzt auf einen monochromen Farbfilter, der die Bilder etwas entsättigt und gelbgrau-stichig wirken lässt. Man könnte von einem „Texas“-Filter sprechen. Vermutlich soll damit der Film wie aus „früheren Zeiten“ wirken, schließlich spielt er ja wie das Original im Jahr 1973. Tatsächlich aber wirkt das Remake so eher wie ein Musikvideo aus dem Jahr 2003 (Nispel hatte sich vorher vor allem als Regisseur von Musikvideos einen Namen gemacht). Unterstützt wird dieser Effekt durch den Cast: Die fünf jungen Menschen der Reisegruppe (darunter Jessica Biel und Eric Balfour könnten auch HM-Models oder Schönheiten aus einem Pop-Video sein. Und sind entsprechend in Szene gesetzt. Der Film wirkt dadurch glatt und künstlich. Anders als im Original hat man nie das Gefühl, die Schauplätze auch riechen und mit den Händen berühren zu können. Man bewegt sich eher durch ein effektvolles aber letztlich körperloses Computerspiel. Das finde ich deswegen so interessant, weil heutzutage viele Mainstream-Filme diese Wirkung auf mich haben. Sie wirken virtuell, nicht mehr angebunden an die Welt, in der Körper schwitzen und scheißen. So sind natürlich auch Schmerz und Tod nur noch Behauptungen, an die man nicht wirklich glaubt. Wo soll da der Horror sein? Oder auch überhaupt nur ein nachhaltiges Gefühl, das nicht beim nächsten Popcorn-Haps wieder verflogen ist?
Zu der hübschen, aber sterilen Bildwelt passt eine Filmmusik, die anders als im Original sehr konventionell und teilweise sogar kitschig ist. Säuselnde Geigen in einem „Leatherface“-Film? Keine gute Idee! Leider ist auch Leatherface selbst, der im Original in einer frauenlosen Sippe interessanterweise unter anderem die Rolle der Frau zu spielen hat, im Remake zwar wuchtig aber weniger speziell und verstörend. Das fängt bei der Maske an, geht bei den Bewegungen weiter und endet noch nicht damit, dass seine Auftritte weniger gut getimed und geschnitten sind. Er trägt auch nicht Masken, um je nach Laune und Situation seine Persönlichkeit festzulegen, sondern, um sein entstelltes Gesicht zu verstecken. Über die Unterschiede in der Darstellung von Leatherface und der ganzen Hinterwäldler-Sippe im Orginal im Vergleich zum Remake ließe sich womöglich eine ganze Doktorarbeit schreiben. Und schließlich: Auch wenn ich die Schauspielleistungen im Original größtenteils nicht bewundernswert finde: Die nackte Panik, die Marilyn Burns verkörpert, bleibt ein Meilenstein im Final-Girl-Business.
Kurz: Marcus Nispel und sein Team haben einen guten Job gemacht, um einen Horrorklassiker an die Sehgewohnheiten eines jungen Publikums anzupassen. Da der Film mehr als das Zehnfache seines Budgets einspielte, war er auch der Startschuss für Filme wie das „The Hills Have Eyes“ Remake von 2006 oder weitere Filme aus dem TCM-Franchis wie „The Texas Chainsaw Massacre: The Beginning“. Die bizarre Atmosphäre des kleinen Independent-Films aus dem Jahr 1974 blieb aber unerreicht.
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Steffelowski (Sonntag, 10 November 2024 15:22)
Sehr schade, dass - wie von dir angesprochen - die Restauration sich ein Stück weit negativ auf die Atmosphäre des Films ausgewirkt hat. Menschen, die die ursprüngliche Fassung nicht kennen, dürfte dies allerdings kaum stören. Das TCM- Original wirkt aber auch heute noch. Und auch ein gewisser Gruselfaktor ist für mich durchaus noch vorhanden, der erste Auftritt von Leatherface noch immer ein wahrer Schockmoment. Ich hatte auf jeden Fall meinen Spaß im Savoy.