Interessante Verfilmung einer Clive-Barker-Story
• USA 1992
• Regie: Bernard Rose
• Laufzeit: 100 Minuten
Handlung: Die Doktorandin Helen will ihre Arbeit über urbane Mythen schreiben und stößt dabei auf die Legende um den „Candyman“, der bis heute sein Unwesen in dem Sozialbauten-Projekt „Cabrini Green“ treiben soll. Neugierig begibt sich Helen mit ihrer Freundin Bernadette ins Schwarzen-Ghetto, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Besprechung: Gerade noch habe ich in unserem Literaturpodcast „laxbrunch“ im Gespräch mit Nefeli Kavouras und Wolf Speer (vom „HorrOhr“-Podcast) verkündet, dass „Candyman’s Fluch“ wohl die beste Verfilmung einer Barker-Geschichte sei. Und dann erst habe ich ihn nach gut sechs Jahren zum ersten Mal wieder gesehen, Und muss sagen: So gut ist der leider nicht. Aber der Reihe nach.
Der Anfang zieht mich mit der hypnotischen Musik von Philip Glass („Koyaanisqatsi“) und den Luftaufnahmen von Straßen und Hochhäusern in Chicago gleich in seinen Bann. Auch die Protagonistin Helen – gespielt von einer in meinen Augen erschreckend attraktiven Virgina Madsen – interessiert mich mit ihrer Mischung aus zupackendem Ehrgeiz und unerschrockener Naivität. Ihr älterer Ehemann Trevor ist selbst bereits Dozent und wirkt von Anfang an unsympathisch und schmierig, was auch auf Helen abfärbt. Mehr als früher habe ich mich diesmal gefragt: Was ist das eigentlich für eine Frau? Ihre Karriereambitionen sind deutlich und werden auch psychologisch motiviert, als man sie in einem Gespräch mit Trevor und einem älteren Kollegen sieht. Die Männer schauen offensichtlich auf Helen und ihre (schwarze) Mit-Doktorandin Bernadette herab. Frauen und Wissenschaft: dreimal laut gelacht! Aber nur weil die (weißen) Männer hier noch unsympathischer sind, heißt es nicht, dass Helen eine Sympathieträgerin ist. Ihr Eindringen in das Ghetto der Schwarzen hat etwas Unsensibles und Sensationslüsternes. Die weiße Frau aus gutem Hause geht auf Safari, so will es scheinen. Und überschreitet dabei verschiedene Grenzen. Was den Film besonders interessant macht, ist, dass nicht ganz klar ist, ob uns Helen als zwielichtige Figur oder als Heldin verkauft werden soll. Und gerade in der ersten Hälfte ist „Candyman’s Fluch“ für mich spannend und teilweise unheimlich. Als dann der Candyman (Tony Todd) spät im Film auftaucht, sieht er zwar eindrucksvoll aus, labert aber leider prätentiösen Blödsinn, der an die schwachen Momente der literarischen Vorlage erinnert. Und das auch noch mit einer gedoppelten Stimme, die mich zusammen mit dem zunehmend schwülstig wabernden Score von Glass von Minute zu Minute mehr genervt hat.
Der Film ist blutig und hat mit Cabrini Green ein tolles tristes Setting, aber nach hinten raus, scheint der Film einerseits viel zu wollen, andererseits nicht genau zu wissen: was eigentlich. Zusammen mit den klebrig wirkenden Szenen mit Helen und dem Candyman verpufft so ein großer Teil des Versprechens, das der Film anfangs ergeben hat, in einer undurchsichtigen Seifenoper. Das ist schade, denn „Candyman’s Fluch“ hat als Horrorfilm mit sozialen Elementen überdurchschnittliches Potenzial und bietet sich auch heute noch als Grundlage für Überlegungen zu „weißen“ und „schwarzen“ Perspektiven in Kombination mit Klassen- und Geschlechterfragen an.
Trivia: Regisseur und Drehbuchautor Bernard Rose, der bis heute Dramen, Komödien und Horrorfilme dreht, hat hier eine kleine Nebenrolle als der unsympathische Urban-Legend-Experte Archie Walsh.
Die im Film zu sehenden Bienen mussten extra gezüchtet werden, und zwar so, dass sie etwa 12 Stunden alt waren. Dann sehen Bienen nämlich bereits ausgewachsen aus, aber ihre Stiche sind noch relativ harmlos. Tony Todd wurde dennoch über 20 Mal gestochen, allerdings in insgesamt drei Candyman-Filmen – 1992, 1995, 1999. Das Gute für ihn: Er hatte einen Bonus von 1000 Dollar pro Stich ausgehandelt.
Die Filme „Candyman 2 – Die Blutrache“ (1995) und „Candyman 3 – Der Tag der Toten“ (1999) kann man sich sparen.
Die Vorlage zu dem Film ist Clive Barkers Erzählung „The Forbidden“ („Das Verbotene“) aus dem den „Büchern des Blutes“, Band 5. In Barkers Geschichte ist der Candyman ein Weißer mit gelblicher Haut und rotem Bart.
IMDB: 6.7 von 10
Letterboxd-Rating: 3.6 von 5
Neft-Rating: 2.5 von 5
// HOPSYS GEDANKEN
In dem Buch 2011 publizierten Buch „Horror Noire. Blacks in American Horror Films from 1890 to Present“* der amerikanischen Kommunikationswissenschaftlerin Robin R. Means Coleman heißt es zu „Candyman’s Fluch“ auf Seite 189:
The problem remains, however, that both locations are talked about and viewed in the film through a lens of Whiteness.
Es bleibt also das Problem bestehen, dass sowohl das Schwarzen-Ghetto „Cabrini Green“ als auch die wohlhabende Welt hauptsächlicher weißer Akademiker*innen aus einer „weißen Perspektive“ wahrgenommen werden. Ich selbst bin nicht gut genug ausgebildet, um eine „schwarze Perspektive“ auf den Stoff einzunehmen, wie es mutmaßlich das Sequel „Candyman“ aus dem Jahr 2021 tut. Und ich muss die Aussage der Afroamerikanerin Coleman eher glauben, als dass ich sie wissend abnicken kann. Zumindest fällt mir auf, dass „Cabrini Green“ – diese Sozialbauten existierten tatsächlich und wurden bis Anfang der 1990er vor allem von prekär lebenden Schwarzen bewohnt – in „Candyman’s Fluch“ als eine Art Geisterbahn genutzt wird. Auch wenn in dem Film durch die Figuren des kleinen Jake und der alleinerziehenden Mutter Anne-Marie der Versuch erkennbar ist, die Ghettobewohner*innen nicht einheitlich zu dämonisieren, wird die Inszenierung doch von dem Blick der weißen Frau aus einer höheren Klasse bestimmt, die mutig zu den runtergekommenen und teils durchaus gefährlichen Schwarzen aufbricht. Coleman schreibt auf Seite 190 auch:
In the end, this is a movie about celebrating White womanhood.
Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob der Film wirklich eine Feier des weißen Frauseins ist. Denn ich sehe Helen und ihr gesamtes Umfeld ziemlich kritisch. Eigentlich gibt es keinen einzigen sympathischen Weißen in dem Film. Vom Ehemann Trevor über dessen Geliebte und seinen akademischen Kollegen bis zu den Angestellten einer Psychiatrie – selbstgefällige, egozentrische Menschen, die ihre Privilegien nicht checken und deswegen mit ihrem Umfeld gar nicht adäquat umgehen können. Und das betrifft in meinen Augen auch Helen, die am Ende weniger zur Heldin als zu einer weiteren tragischen Figur nach dem Candyman wird.
Es kann gut sein, dass ich den 1992er-Film etwas besser finde als das Sequel aus dem Jahr 2021, weil ich eben ein weißes Akademikerkind (geboren 1973) bin und meine Art auf die Welt zu blicken in dem alten „Candyman“ eher wiederfinde als im Neuen. Ich denke weder, dass ich das einfach ablegen kann, noch dass ich diese Sichtweise ablegen müsste. Der Punkt ist in meinen Augen nicht, die eigene Prägung zu verdammen, sondern gänzlich andere Prägungen und Sichtweisen generell als gleichwertig anzuerkennen. Was schon eine Herausforderung ist. Dabei glaube ich, dass Begriffe wie „schwarze“ und „weiße“ Perspektiven recht grobe Raster sind, die feiner werden, wenn man – ganz im intersektionalen Sinne – weitere prägende Faktoren wie Klasse, Geschlecht, Bildungsgrad, körperliche und psychische Gesundheit, Attraktivität, gutes Familienklima und manches mehr berücksichtigt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass in aktuellen westlichen universitären Diskursen die Aspekte „Gender“ und „Race“ einen deutlich höheren Stellenwert einnehmen als der Klassenaspekt, ja, dass dieser in einer etwas vereinfachenden „Frauen/Schwarze sind eh strukturell weniger privilegiert“-Rhetorik schnell unter den Tisch fällt. Eine spannende Frage ist für mich, ob der von einer schwarzen Regisseurin gedrehte „Candyman“ aus dem Jahr 2021 tendenziell schwarzen Menschen besser gefällt als der 1992er-Film und wie sich dann noch jeweils die Klassenzugehörigkeit auf die persönliche Bewertung des Films auswirkt. Die Frage ist natürlich auch umgekehrt spannend: Gefällt Weißen der Film von 1992 generell besser?
Mir selbst gefällt der 1992-er Candyman etwas besser, der 2021 lässt mich, wie gesagt, kalt. Ich bewerte ihn dabei nach meinem Geschmack und stufe ihn nicht höher ein, weil er eine „schwarze Perspektive“ einbringt. Das käme mir paternalistisch, verkopft und uneigentlich vor. Säße ich allerdings in einer Jury, um einen geldwerten Preis zu vergeben, wäre es kniffeliger. Vor allem, wenn die Jury nicht besonders divers besetzt wäre. Generell denke ich: Meine Sichtweise ist subjektiv, die der anderen auch. Lasst uns miteinander im wohlwollenden Austausch über unsere Sichtweisen bleiben. Bestenfalls erweitern wir so ein wenig unseren Blick.
* Den Hinweis auf das Buch „Horror Noire“ verdanke ich dem Dozenten, Film- und Musikkritiker Benjamin Moldenhauer, der (wie Helen im Film) eine eindrucksvolle Doktorarbeit begonnen, diese dann aber auch fertig geschrieben und veröffentlicht hat. Sie trägt den Titel: „Ästhetik des Drastischen. Welterfahrung und Gewalt im Horrorfilm.“ (mit 25 schönen Fotos!)
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