Zeitgeistiges Sequel zu einem kleinen Klassiker
• USA, Kanada 2021
• Regie: Nia DaCosta
• Laufzeit: 91 Minuten
Handlung: Künstler zieht mit Freundin in ein Luxus-Loft im gentrifizierten „Cabrini Green“ in Chicago. Früher war dieses Viertel ein Ghetto der Schwarzen. Bis heute hält sich dort die Legende vom „Candyman“, einer Erscheinung mit Hakenhand und Bienen-Affinität, die nicht nur Süßigkeiten, sondern auch den Tod bringt. Da dem Künstler eh nix einfällt, lässt er sich von der Schauergeschichte inspirieren und muss auch unbedingt den Namen „Candyman“ fünf Mal laut vor einem Spiegel aussprechen, obwohl wir alle wissen, dass das keine gute Idee ist.
Besprechung: Weil ich gerade im laxbrunch-Literaturpodcast mit meiner Kollegin Nefeli Kavouras und unserem Gast (Wolf Speer vom Horrorfilm-Podcast „HorrOhr“) über die „Bücher des Blutes“ von Clive Barker geredet habe, steht mir der Sinn nach einer filmischen Barker-Retrospektive. Seine Erzählung „The Forbidden“ (Das Verbotene) aus dem fünften Buch des Blutes gehört sicher nicht zu seinen allerbesten, aber die Verfilmung „Candyman’s Fluch“ aus dem Jahr 1992 ist (nicht nur in meinen Augen) eine wirklich gelungene Adaptionen eines Barkerstoffs. Heute widme ich mich aber erst einmal dem Sequel aus dem Jahr 2021, das mit 25 Millionen Dollar Budget in etwa dreimal so teuer war wie der 1992er Candyman.
Und es ist mir ein Rätsel: Obwohl oberflächlich betrachtet nichts an dem Film schlecht ist, lässt er mich kalt. Die Schauspieler*innen sind gut, die Bildgestaltung ebenfalls. Es gibt zum Beispiel ein paar stimmungsvolle Scherenschnitt-Sequenzen und gute Aufnahmen vom Cabrini-Ghetto. Auch können sich die handgemachten Effekte sehen lassen, und der Candyman kommt mit seinem gequälten Lächeln richtig gut rüber. Wo also ist das Problem? Ganz einfach: Mich interessiert keine der Figuren. Dass die zentralen Charaktere etwas laffe Art-Hipster sind, soll zwar so sein. Der Film ist schließlich unter anderem ein nicht allzu feinsinniger und wenig origineller Seitenhieb auf die Kunstszene. Aber es hilft mir nicht gerade dabei, mit irgendjemand mitzufiebern. Das sind so glatte Menschen, die wissen, wie man sich verhält, um politisch korrekt und empathisch zu wirken, ohne es zu sein – also der pathologische Normalzustand der Gesellschaft. So sehe ich es zumindest an missmutigen Tagen.
Außerdem ist der Film zu verkopft: Gentrifizierung, black lives matter, say their names, kollektives Verdrängen und Erinnern, der Candyman als Metapher „schwarzer“ Rachegelüste – das ist womöglich nicht nur etwas viel, es wird auch viel zu stark erklärt, ohne dass ich es fühlen kann. Vor allem, weil sich der Film deutlich stärker für die hippe Kunstwelt interessiert als für Ghettofrust, Rassismus und krasse Außenseiter. So fehlt der Candyman-Neuauflage in meinen Augen trotz starkem afroamerikanischem Cast, einer jungen schwarzen Regisseurin und Jordan Peele („Get out“, „Wir“, „Nope“), der an Drehbuch und Produktion beteiligt war, die Dringlichkeit. Vielleicht bin ich aber auch zu alt und weiß und cis und habe zu wenig Gespür für die spezifische Stimmungslage afroamerikanischer Aufsteiger in der US-Gesellschaft. Menschen mit ähnlichen Erfahrungen sowie Menschen der Generation Z werden von dem Film wahrscheinlich viel besser abgeholt und können sich bei der Bewertung ein bis zwei Punkte dazudenken.
Trivia: In „Scream 6“ fachsimpeln zwei weibliche Hauptfiguren über Horrorfilme. Die eine fragt sinngemäß: „Candyman, der alte oder der neue?“ Und die andere antwortet: „Beide!“ Die Fragestellerin ist hochzufrieden, ich bin es nicht.
Die Außenaufnahmen von Cabrini Green wurden dort gedreht, wo bereits der Film von 1992 gedreht worden ist. Die Hochhäuser sind zwar längst abgerissen gewesen, aber die Reihenhäuser existierten noch und konnten für starke Aufnahmen genutzt werden.
Nia DaCosta (*1989) wurde mit „Candyman“ die erste schwarze, weibliche Regisseurin, deren Film am Eröffnungswochenende den ersten Platz bei den US-Ticket-Verkäufen erreichte.
Der Schauspieler Tony Todd spielt hier zum vierten Mal in seinem Leben den Candyman. Diesmal wurde er erstmals digital „entaltert“.
IMDB: 5.9 von 10
Letterboxd-Rating: 3.1 von 5
Neft-Rating: 2 von 5
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