· 

Never Let Go – Lass niemals los

Atmosphärisch intensiver Psycho-/Survival-Horror

 USA 2024    

 Regie: Alexandre Aja                          

 Laufzeit: 101 Minuten

 

Handlung: In einem Holzhaus in einem entlegenen Wald leben eine Mutter und ihre beiden Kinder, die Zwillinge Nolan und Samuel. So märchenhaft wie das klingt, wirkt auch das, was die Mutter den beiden Jungen sagt: „Geht nie aus dem Haus, ohne euch durch ein Seil mit ihm zu verbinden, denn draußen lauert das Böse. Berührt es euch, wenn ihr kein Seil am Leibe tragt, dringt es in euch ein und wir werden alle sterben.“ Und so bestreitet die kleine Familie zu dritt ihr karges Leben mit ein bisschen selbst gezogenem Gemüse und Tieren, die es im Wald fängt. Natürlich ist dabei jeder der drei immer mit einem Seil verbunden. Aber wie lange ist diese Art von Leben aufrecht zu erhalten?

 

Besprechung: Die Geschichte klingt nicht gerade frisch: Ist die Welt tatsächlich ein unbewohnbarer Ort des Bösen, oder bindet die Mutter mit dieser gruseligen Erzählung nur ihre Söhne ans Haus und an sich? Man denkt vielleicht an „The Village“, „The Others“, „10 Cloverfield Lane“, „Bird Box“ oder atmosphärisch auch an „It comes at night“ oder den kleinen Indiefilm „Tethered“ – aber die Geschichte ist auch nicht das Ass im Ärmel dieses neuen Films von Alexandre Aja, der ohnehin weniger für originelle Stories als für starke Umsetzungen, zum Beispiel bei den Remakes „The Hills Have Eyes“ (2006) und „Piranha 3D“ (2010) bekannt ist. 

 

Die Atmosphäre ist von Anfang an intensiv und rätselhaft, unheimlich und ungemütlich. Manchmal aber interessanterweise auch gemütlich. Fast hätte ich Lust, selbst wieder ein kleiner Junge zu sein und mit den Zwillingsbrüdern bei Regen und Gewitter in ihrer lauschigen Dachkammer mit dem gotischen Fensterbogen zu liegen. Zumindest solange es genug zu essen gibt. Das Setting ist mit viel Liebe zum Detail gemacht, der Score stark und das Schauspiel richtig gut. Nicht nur von Halle Berry, vor der ich hier richtig Angst hatte, sondern auch von Percy Deggs IV und Anthony B. Jenkins, die als Kinderdarsteller fast durchgängig überzeugen und auch einige emotionale Momente transportieren können. Hin und wieder funktioniert mal eine Szene nicht so richtig und auf ein, zwei CGI-Momente hätte Aja besser verzichtet, aber größere Hänger hat der Film in meinen Augen nie. Die Gruselszenen sind so inszeniert, dass sie mir besser gefallen als in vielen anderen Horrorfilmen, ohne dass ich genau sagen könnte, warum. Aja hat ein Gespür für Timing, für Vorbereitung, Einsatz von Sound und auch für Psychologie. Denn die wahre Stärke des Films ist neben seinem atmosphärischen Setting und dem fesselnden kleinen Ensemble, dass er sein psychologisches Material ernst nimmt. Sowohl die Angst vor einem möglichen Bösen in der Welt als auch die Angst vor einer möglichen Bedrohung in den eigenen vier Wänden wird spürbar vermittelt und erzeugen eine Verunsicherung über das Wesen der Realität im Zuschauer: Sind Familiengeschichten nicht auch Wirklichkeit, eben, indem sie auf die Familienmitglieder stark wirken? Und ist der Unterschied zwischen Wahn und Realität tatsächlich so relevant für die Menschen, deren Realität der Wahn ist? Mag sein, dass bestimmte Wahrnehmungen und Regeln nicht für die „Welt da draußen gelten“, aber sehr wohl für das geschlossene System einer Familie. 

 

Die Rituale der kleinen Familie, die im Wald überleben muss, werden ausführlich dargestellt, was den Film in den Augen mancher Zuschauer*innen sicher etwas langsam macht. Ich denke allerdings, dass diese wiederkehrenden Elemente nötig sind, um die Prägung der Jungen nachvollziehbar zu machen. Manche wird auch ganz sicher das Ende stören. Darüber kann ich hier allerdings nicht schreiben, ohne zu spoilern. Nur so viel: Die Verwirrung, die der Film auslösen kann, kann auch dazu motivieren, sich seine Einzelteile noch einmal in Ruhe anzusehen und sich intensiver mit der Geschichte zu beschäftigen. Denn dabei gibt es durchaus noch das eine oder andere zu entdecken. 

 

Trivia: Man munkelt, dass dieser Film Teil einer Reihe werden soll. Laut Halle Berry wären ein Prequel und ein Sequel bereits geschrieben. Womöglich erfährt man dann mehr über die Welt, in der „Mama“ und ihre beiden Söhne leben. Und warum sie sich daraus zurückgezogen haben.

 

Ursprünglich hatte das Filmprojekt den Arbeitstitel „Mother Land“ und sollte von Mark Romanek gedreht werden.

 

Gedreht wurde der Film in Vancouver, Britisch Columbia, zwischen dem 17. April und dem 2. Juni 2023. 

 

Um sich auf ihre Rolle vorzubereiten, lernte Halle Berry verschiedene Survival-Techniken und lebte ein paar Tage ohne Elektrizität auf dem Land. Und häutete ein Eichhörnchen.

 

IMDB: 5.7 von 10

Letterboxd-Rating: 2.7 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 3.5 von 5

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Steffelowski (Donnerstag, 03 Oktober 2024 11:16)

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich ein Prequel/Sequel des Films sehen möchte. Das ging in der letzten Zeit meist daneben. Siehe A Quiet Place, The Omen, The Exorcist. Außerdem werden in den Prequels dann oft Fragen beantwortet, nie keiner gestellt hat, oder deren Beantwortung recht dünn ausfällt.
    Never Let Go kam für mich etwas zu langsam auf Touren und wurde nie wirklich spannend. Athmosphäte und Setting haben haben mich dafür aber durchaus angemessen entschädigt.

  • #2

    Anselm (Donnerstag, 03 Oktober 2024 14:26)

    Ja, ich weiß auch nicht, was ich von einer Franchiseisierung des sonderbaren Stoffes halten würde. The First Omen fand ich richtig gut, auch wenn er Quatsch mit der Lore macht, aber die ist in meinen Augen eh Mumpitz und ich bin auch nicht soooo ein Fan der Omenreihe. Bei A Quiet Place ist es ähnlich. Die erklären im Prequel zwar nix und es ist überflüssig, aber da ich kein Fan der beiden Filme davor bin, snacke ich das dann klaglos weg. Beim Exorzisten wird es etwas komplizierter...