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Son

Kaum bekannt und ziemlich gut 

 Irland, Vereinigtes Königreich, USA 2021    

 Regie: Ivan Kavanagh                          

 Laufzeit: 98 Minuten

 

Handlung: Acht Jahre nachdem eine junge Frau aus einer Sekte geflohen ist, wird ihr auf der Flucht geborener Sohn plötzlich krank. Die Ärzte untersuchen ihn gründlich, finden aber keine biologische Erklärung. Zusammen mit einem fürsorglichen Polizisten geht die Mutter der Frage nach, ob ihr Sohn womöglich von den Anhänger*innen des Kultes mit unbekannten Mitteln manipuliert worden ist. Im Kampf um das Leben ihres Kindes muss sie sich sowohl ihrer düsteren Vergangenheit stellen als auch über moralische Grenzen gehen. 

 

Besprechung: Dieser Film fliegt ziemlich unter dem Radar. An den Kinokassen konnte er lächerliche 70.000 Dollar einspielen und Horrorfans erwähnen ihn selten. Das ist schade, denn es handelt sich um einen überdurchschnittlich guten Horrorfilm. Die Geschichte ist interessant, die Bilder stark, der Score und das Sounddesign gediegen. Auch die Darsteller-Riege muss sich vor deutlich erfolgreicheren Horrorfilmen nicht verstecken. Vor allem Hauptdarstellerin Andi Matchiak (Horrorfans bekannt aus der „Halloween“-Trilogie von David Gordon Green) spielt die liebevolle Mutter am Rande des Wahns so zurückgenommen wie eindrucksvoll. Emile Hirsch als unterstützender Polizist fällt dagegen zwar schauspielerisch etwas ab, hat aber eine gute Rolle und genug Charisma, um dennoch zu fesseln. Besonders überzeugend finde ich die Chemie zwischen Matchiak und ihrem Film-Sohn (Luke David Blum). In manchen Szenen konnte ich mich gut an meine kindliche Beziehung zu meiner Mutter erinnern, die im Prinzip auch alleinerziehend gewesen ist. Hier hat der Film in meinen Augen sein emotionales Zentrum. 

 

Von der offenbar satanistischen Sekte sehen wir nur wenig und wenn, dann vor allem in kurzen, unheimlichen Flashbacks. Dadurch bleibt viel der Phantasie überlassen, was den Schrecken erhöht. Der Film scheut aber auch nicht vor grafischer Gewalt zurück, die ihm in Deutschland ein nachvollziehbares FSK-18-Siegel eingebracht hat. Sowohl auf inhaltlicher wie auf optischer Ebene wird „Son“ teilweise richtig unangenehm und kann so auch Horror-Vielseher*innen einen gewissen Kick verpassen.

 

Nicht alles an dem Film wirkt rundum plausibel. So habe ich mich zum Beispiel gefragt, von was Mutter und Sohn nach der Flucht aus der Sekte gelebt haben. Auch glaube ich, dass der Film ohne die finale Sequenz besser gewesen wäre. Allerdings hätte er dann eine Logik-Frage aufgeworfen, die durch das Ende beantwortet wird. So oder so nutzt der Film leider nicht ausreichend die Möglichkeit, das Publikum mit der Frage zu verunsichern, was real und was psychotische Traumafolge ist. Zu früh werden die Karten auf den Tisch gelegt. Dennoch empfehle ich „Son“ allen Menschen, die ernste, finstere Horrorfilme schätzen.  

 

Trivia: Der irische Regisseur Ivan Kavanagh hat vor „Son“ schon andere Horrorfilme gedreht, von denen ich nur „The Canal“ (2014) kenne, der ebenfalls nicht komplett rund, aber phasenweise ernsthaft schaurig ist. 

 

Laut eigener Aussage kam Kavanagh durch die komplizierte Geburt seines eigenen Sohnes auf den Stoff von „Son“. Seine Angst um das Leben seines Kindes inspirierte ihn zu der Geschichte einer Mutter, die bereit ist, sehr weit zu gehen, um ihren Sohn zu retten. 

 

Der im Film auftauchende Name „Palystes“ geht auf eine Gattung von Jägerspinnen zurück, die groß und haarig sind.  

 

IMDB: 5.6 von 10

Letterboxd-Rating: 2.9 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 3.5 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Der Film greift ein Thema auf, dass in den 1980ern in den USA virulent war: die „Satanic Panic“. Der Startschuss zu dieser „moralischen Panik“ fiel 1980 mit der Veröffentlichung des Buches „Michelle Remembers“. Mit dem Begriff „moralische Panik“ bezeichnet man Phänomene wie den Hexenwahn, bei dem größere Teile der Mehrheitsgesellschaft kleinere Gruppen als böse Bedrohung für die eigene Sicherheit und die eigenen moralischen Werte wahrnehmen. „Michelle Remebers“ gibt sich als Tatsachenbericht von Michelle Smith und ihrem Therapeuten Lawrence Pazder. In zahlreichen Therapiesitzungen soll mit Hilfe der „recovered memory therapy“ ans Licht gekommen sein, dass Michelle als Kind Opfer satanistischer Rituale geworden ist, die das Töten von Haustieren vor ihren Augen, sexuelle Gewalt und Folter beinhalteten. Auch gaben ihre bisher blockierten und in der Therapie angeblich aufgedeckten Erinnerungen preis, dass sie Menschenopfern beiwohnen musste und mit dem Blut getöteter Kleinkinder eingerieben wurde.  Michelle Smith und Lawrence Pazder, die nach der sehr erfolgreichen Buchveröffentlichung heirateten, reisten schließlich sogar in den Vatikan, um über die Umtriebe satanistischer Sekten zu berichten. Verschiedene Journalist*innen recherchierten, um die Stichhaltigkeit des angeblichen Tatsachenberichts zu ergründen und kamen zu negativen Ergebnissen. Trotzdem glauben manche Menschen in den USA (und anderen Ländern) bis heute an die Echtheit des Berichts.

 

In den folgenden Jahren kam es in den USA und andrernorts zu über 12.000 Anklagen wegen SRA (Satanic Ritual Abuse also Missbrauch in satanistischen Ritualen). Ein besonders bekannter Fall war der McMartin Preschool Trial. Die Familie McMartin sah sich aufgrund einer Panik in den 1980ern hunderten von Anschuldigungen ausgesetzt, dass sie in der von ihnen betriebenen Vorschule Kinder für satanistische Rituale missbrauchen würden. Auch in anderen Kinderbetreuungsangeboten kam es zu ähnlichen Ängsten, Vorwürfen und unbegründeten Prozessen. Bald gerieten in den Vereinigten Staaten Jugendsubkulturen unter Verdacht, Einstiegsdrogen in Teufelskulte zu sein. Besonders Heavy Metal, Fantasyrollenspiele, Horrorfilme und Gothic-Subkultur galten als satanisch. 

 

Auch in Deutschland erschienen schließlich Bücher wie das reißerische „Schwarzbuch Satanismus“ (1995) von Guido und Michael Grandt, „Ich bin ein Kind der Hölle“ herausgegeben 1996 von Franz Georg Friemel und Franz Schneider oder der angebliche Tatsachenbericht „Lukas – vier Jahre Hölle und zurück“ (1995). Einige Theolog*innen und Sektenbeauftragte taten sich hervor, in dem sie Kraft ihres Amtes vor der satanistischen Bedrohung warnten. In meinem 2007 publizierten Aufsatz „Antisatanismus in Deutschland“ widme ich mich dem Phänomen ausführlicher. 

 

Ein heute einflussreicher Ableger der „Satanic Panic“ der 1980er und 1990er ist der Verschwörungsglaube, den die Gruppe QAnon seit 2017 vor allem im Internet verbreitet. Kernbehauptung ist, dass es eine weltweite Verschwörung von satanistischen Eliten gibt, die einen geheimen „deep state“ leiten und rituell Kinder quälen, vergewaltigen und töten. Durch die Angst der Kinder werde ein Stoff namens Adrenochrom freigesetzt, der den Satanisten als Jungbrunnen diene. QAnon verbindet diese Ritualmordlegenden mit rechtsextremer und antisemitischer Propaganda. Führende Politiker*innen der Demokratischen Partei werden als pädophile Kindermörder dargestellt, während Trump als unerschrockener Bekämpfer des satanischen deep state gilt. Auch Behauptungen wie die, dass Angela Merkel mit Adolf Hitler verwandt sei, gehören zu den typischen Gerüchten, die von QAnon-Anhänger*innen immer wieder wiederholt und gestreut werden. Auch Falschinformationen zu den Lockdownmaßnahmen in den USA wurden von QAnon prominent vertreten. So sei es dabei nicht um die Eindämmung der Covid-Pandemie gegangen, sondern um eine Möglichkeit für Trump, Kinder aus den Folterkellern der satanischen Elite zu befreien. 

 

Laut einer repräsentativen Umfrage der britischen NGO "HOPE not Hate" vom Oktober 2020 bezeichneten sich rund 10 Prozent aller befragten US-Bürger und mehr als 20 Prozent der Trumpanhänger als QAnon-Unterstützer. 82 Prozent dieser Unterstützer hielten Gewalt zum Verteidigen ihres Glaubens für legitim. 

 

 

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