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Lake Mungo

Ein besonderes Film-Experiment

 Australien 2008    

 Regie: Joel Anderson                          

 Laufzeit: 87 Minuten

 

Handlung: Im Dezember 2005 wird in einem See bei der australischen Kleinstadt Ararat die Leiche eines Mädchens gefunden. Die 16-jährige Alice Palmer scheint einfach ertrunken zu sein. Ihr älterer Bruder und die Eltern der Toten glauben jedoch bald, dass der Geist des Mädchens bei ihnen umgeht.

 

Besprechung: Dieser Film kommt in der Form ein sogenannten „Mockumentary“ daher, also als Fake-Dokumentation. Wie in Geister-Doku-Formaten wie „Paranormal Investigation“, „Unsolved Mysteries“ oder „Haunted“ präsentiert uns der Film also eine Menge Interviews mit Familienmitgliedern und Zeug*innen, verwaschene Aufnahmen von möglichen Geisterfotos und einen Off-Kommentar, der das Geschehen einordnet. Dabei ist der Fake durchaus gut gemacht und wirkt überzeugend, vor allem, wenn man den Film in Originalsprache und nicht in der deutschen Synchronisation sieht, die ja einen weiteren Fake-Level hinzufügt. 

 

Ich bin kein Fan von Found-Footage-Filmen. Berühmte und kassenträchtige Vertreter wie „Blair Witch Project“ oder „Paranormal Activity“ lassen mich ziemlich kalt. Und selbst der zünftigere „[REC]“ kann mich nur phasenweise fesseln. „Lake Mungo“ ist allerdings anders. In einer Fake-Doku sind schließlich sowohl Musikeinspielungen als auch gestellte Szenen oder künstlerische Aufnahmen plausibel. So ist „Lake Mungo“ ästhetisch in Teilen durchaus ein Genuss und kann viel Atmosphäre über Bilder und Klänge erzeugen. Vor allem aber erzählt er im Kern eine wirklich realitätsnahe Geschichte, die keine Hexen, Dämonen oder Geister benötigt, um ins Zentrum unserer Ängste vorzustoßen. 

 

Trotzdem habe ich mich anfangs etwas schwergetan, in den Film reinzukommen. Der Dokumentations-Stil erfordert Aufmerksamkeit und guten Willen, und ich habe mich gefragt, ob die Geschichte nicht doch besser als normaler Film transportiert worden wäre, einfach weil mich solche Versuche, etwas besonders realitätsnah wirken zu lassen, leider eher an die Gemachtheit eines Films erinnern und auf Fehler achten lassen. Spätestens in der zweiten Hälfte hatte mich der Film mit seinen überraschenden Wendungen aber am Wickel. Die Figuren kamen mir näher, ich konnte ihren Schmerz und ihre Ratlosigkeit spüren, ihre rührenden Versuche mit einer unfassbaren Tragödie umzugehen, die uns alle betrifft. Der Tod kann jeden von uns jederzeit holen, egal wie alt wir sind, egal, was wir noch vorhaben und was in unserem Leben noch ungeklärt ist. Das ist tatsächlich der Horror des Daseins. Ein anderer ist die Einsamkeit, die wir alle kennen. Selbst die Menschen, die uns am nächsten sind, wissen oft nicht, wer wir im Innersten sind. Es gibt Bereiche unserer Psyche, die wir nicht teilen können, die uns selbst fremd und verstörend erscheinen. Dabei sehnen wir uns danach, voll erkannt zu werden, bevor wir in die Einsamkeit des Sterbens gehen müssen. Und wenn jemand gestorben ist: Wussten wir wirklich, wer dieser Mensch zu Lebzeiten gewesen ist?

 

Es macht durchaus Sinn, dass „Lake Mungo“ als Mockumentary gedreht wurde, denn so lässt sich die Unzuverlässigkeit von Bildmaterial besonders schlüssig und facettenreich thematisieren. Unsere Gläubigkeit gegenüber dem, was wir sehen, ist gerade in Zeiten manipulierbarer Bilder durchaus zu hinterfragen. Ständig sehen wir heute uns und andere auf digitalen Bildern. Aber sehen wir wirklich uns?

 

„Lake Mungo“ dürfte manchen als der ödeste Pseudo-Horrorfilm von allen vorkommen. Tatsächlich ist er zu gleichen Teilen auch ein Drama und ein Experiment, das über Verlustschmerz und die Unzuverlässigkeit von Erinnerungen und Bildern reflektiert. Andere Menschen allerdings dürften nach dem Film einigermaßen verstört sein und würden ihn auch für 500 Euro nicht noch einmal gucken: allein, über Kopfhörer, in der Dunkelheit. 

 

Trivia: Der Film spielte bei einem Budget von 1.7 Millionen Dollar nicht einmal 30.000 Dollar ein.

 

Regisseur Joel Anderson drehte nie einen weiteren Film, sondern arbeitet stattdessen als Produzent. 2024 hatte er eine kleine Statistenrolle als Kultist in dem australischen Horrorfilm „Late Night with the Devil“, bei dem es sich ebenfalls um eine Mockumentary handelt.

 

Lake Mungo zählt zu den „All-Time-Favourites“ und Inspirationsquellen des Regisseurs Mike Flanagan, der mit Filmen wie „Oculus“ und „Before I Wake“ oder Serien wie „Spuk in Hill House“ und „Midnight Mass“ seine Vision des psychologischen Horrors ans gruselwillige Publikum bringt. 

 

Auch Horrorregisseur Jordan Peele („Get out“, „Wir“, „Nope“) sagte in einem Interview, dass für ihn persönlich „Lake Mungo“ zu den gruseligsten Filmen zählt. 

 

Alice Palmers Name erinnert an Laura Palmer aus „Twin Peaks. Vermutlich ist das kein Zufall. 

 

IMDB: 6.3 von 10

Letterboxd-Rating: 3.4 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 3.5 von 5

 

 

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