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Talk to me

Frischer Grusel für eine neue Generation

 Australien 2022*    

 Regie: Michael und Danny Phillippou                          

 Laufzeit: 95 Minuten

 

*(Der Film kam allerdings erst im Juli 2023 in die deutschen und US-amerikanischen Kinos)

 

Handlung: Die 17-jährige Mia ist seit zwei Jahren Halbwaise. Der Tod der Mutter hat sie von ihrem Vater entfremdet, aber sie verbringt ohnehin mehr Zeit in der Familie ihrer Freundin Jade, vertraut sich deren Mutter an und knüpft auch ein enges Band zu Jades kleinem Bruder Riley. Sie erlaubt ihm sogar, zu einer Party mitzukommen und lässt in Jades Abwesenheit zu, dass der Junge bei einer Seance mitmacht. Mittels einer eingegipsten Schamanenhand stellen die Jugendlichen Kontakt zum Reich der Toten her. 90 Sekunden nur, dann soll man das okkulte Artefakt wieder loslassen. Aber Loslassen ist nicht Mias Stärke.

 

Besprechung: Das liest sich wie die hundertste Verfilmung der Geschichte: „Jugendliche spielen mit dem Okkulten und kriegen furchtbar auf die Mütze“. Was „Talk to Me“ von inhaltlich ähnlichen Filmen unterscheidet und zu einem großen Erfolg gemacht hat, sind in meinen Augen vier Dinge:

 

Erstens: Die Teenager hier benehmen sich wie echte, nahbare Teenager. Lebensfroh und deprimiert, hilfsbereit und egozentrisch, lustig und dumm. Die Dialoge und Verhaltensweisen wirken glaubhaft und alltagsnah.

 

Zweitens: Die Charaktere sind moralisch komplexer als im typischen Slasher oder Teeniehorror. Sie haben sympathische und weniger sympathische Seiten, machen Fehler und versuchen, die Fehler wieder gut zu machen. Dabei erscheinen die Verhaltensweisen meistens plausibel.

 

Drittens: Der Film hat emotionale und gedankliche Tiefe, ohne dass er auf Drama oder Arthouse macht und dabei seine Horrorfilm-Ambitionen vergisst.  

 

Viertens: Er ist formal überdurchschnittlich gut gemacht. Die Inszenierung achtet auf Details. Die einzelnen Szenen sind liebevoll und kompetent gestaltet. Zum Beispiel die lange Einstiegsszene, die ohne Schnitt durch eine Party führt. Oder auch die Seance-Szenen mit der „Schamanenhand“, die uns intensiv ins Geschehen hineinziehen und stilistisch frisch wirken. Auch sind die praktischen Effekte und das Make-up in jeder einzelnen Szene gut gelungen. 

 

Trotz dieser Qualitäten war ich von dem Film damals im Kino nur angetan, nicht begeistert. Jetzt beim Wiedergucken erkenne ich noch stärker, woran das liegt. Die Hauptfigur Mia nervt mich. Sie ist mir nicht sympathisch und ich ärgere mich dabei über mich selbst, denn ich habe andererseits Verständnis für ihr Elend. Sophie Wilde spielt diese Figur wirklich gut, interessant und facettenreich, und es ist völlig plausibel, dass Mia so auf mich wirkt, wie sie wirkt. Es macht den Film womöglich gleichzeitig realistischer als auch anstrengender. Auch die anderen Jugendlichen sind vermutlich recht lebensnah getroffen und lösen genau deswegen bei mir manchmal den Impuls aus, zu schreien: „Habt ihr noch alle Tassen im Schrank? Die Seelen Verstorbener sind kein Partyspaß, ihr Trottel!

 

Denke ich an meine eigene Jugend zurück, würde ich sagen: Wir haben auch dumme, gefährliche und peinliche Sachen gemacht, in einer Mischung aus viel Energie, wenig Erfahrung und naiver Ignoranz. Aber Klamauk mit solch fiesen Geistererscheinungen hätten dann selbst die Wildesten unter uns wohl eher nicht gewagt.

 

Allerdings habe ich auch erst jetzt beim Wiedergucken eine metaphorische Ebene in dem Film entdeckt, die ihn in meinen Augen noch etwas aufwertet und das grenzwertige Verhalten der Jugendlichen in ein anderes Licht setzt. Mehr dazu unter „Hopsys Gedanken“. Statt den ursprünglich auf letterboxd vergebenen 3.5 Sternen zücke ich nun hier also die 4, auch weil der Film teilweise echt brutal und im Finale angenehm konsequent ist. Und außerdem handelt es sich um ein Debüt. Von den beiden Youtube-Brüdern ist sicher noch Großes zu erwarten.  

 

Trivia: Michael und Danny Phillippou sind zwei 1992 geborene Youtuber, die online als RackaRacka bekannt sind und zunächst mit ziemlich riskanten Wrestling-Videos auf sich aufmerksam machten. „Talk to Me“ ist ihr Regiedebüt. Eine Hollywood-Firma bot ihn eine große Summe für das Recht ein US-Remake des Films drehen zu können, mit einem deutlich höheren Budget als das Original. Aber die Brüder lehnten ab. 

 

Die Filmcrew wurde unterstützt durch die Produzentinnen Samantha Jennings und Kristina Ceyton von Causeway Films, die im Jahr 2014 "Der Babadook" produziert haben.

 

In der Eröffnungsszene sind bereits alle Charaktere des Films anders zurecht gemacht in anderen Rollen zu sehen. Und auch Michael Phillippou hat ihr einen sehr kurzen Cameo-Auftritt. Wer mehr über solche Easter Eggs in Talk to Me erfahren will, kann hier weiterlesen.

 

In Kuwait wurde der Film verboten, weil in ihm Zoe Terakis mitspielt, eine trans-Person. 

 

IMDB: 7.1 von 10

Letterboxd-Rating: 3.6 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 4 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Die erste Szene des Films führt uns auf eine Party. Ein junger Mann sucht verzweifelt einen „Duckett“. Irgendein Partygast sagt belustigt: „Der ist komplett zugedröhnt.“ Und damit führt der Film bereits das Thema ein, das von da an unterschwellig mitläuft: Drogenkonsum und seine gefährlichen Seiten. Natürlich sind gerade Jugendliche experimentierfreudig. Sie suchen intensive Erlebnisse, Rausch, Ekstase. Sie wollen sich unter Gleichaltrigen beweisen, dazugehören, cool sein. So ist es auch in „Talk to Me“, wo die Schamanenhand auch eine große Bong sein könnte. Harmlos ist der Partyspaß allerdings nicht, denn bei manchem Menschen können durch Marihuana-Konsum Psychosen ausgelöst werden. Zwar ist die Droge dabei nur ein Faktor unter mehreren und leistet ihren Beitrag in der Regel erst bei häufigem und starkem Konsum, dennoch steigert das Kiffen sehr wahrscheinlich das Risiko an einer Psychose zu erkranken. Vor allem, wenn früh damit begonnen wird. Natürlich haben Drogen wie Alkohol und Cannabis noch andere destruktive Auswirkungen. Vor allem können sie süchtig machen. „Talk to Me“ legt nahe, dass manche Menschen besonders anfällig für die destruktiven Effekte „der Schamanenhand“ sind. Zum einen der noch sehr junge Riley, zum anderen Mia, die vor zwei Jahren ihre Mutter verloren hat. Mia ist ein anhänglicher Mensch auf der Suche nach Anerkennung, Unterstützung und Liebe. Sie tut sich dabei schwer, denn ihre Bedürftigkeit stößt viele eher ab. Sie gilt unter den Teenies als nicht cool. Darüber hinaus ist sie womöglich familiär bedingt anfälliger für psychische Krankheiten. Ihre Mutter hat Suizid begangen. Studien legen nahe, dass Kinder, deren Eltern sich selbst getötet haben, ein deutlich erhöhtes Risiko haben, an einer psychischen Krankheit zu leiden und/oder ebenfalls Suizid zu begehen.  

 

Besonders interessant in „Talk to Me“ finde ich Mias Verhalten gegenüber dem jüngeren Riley, dem kleinen Bruder ihrer Freundin Jade. Einerseits verhält sie sich ihm gegenüber wie eine ältere Schwester. So holt sie ihn am Anfang von der Schule ab, als die echte Schwester es vergisst. Ausgelassen singen die beiden im Auto, wir spüren ihre Nähe zueinander. Mia ist aber nicht in der Lage die Verantwortung zu tragen, die eine ältere Schwester tragen sollte. Bedürftig nach Anerkennung will sie Riley vor allem gefallen, und deswegen erlaubt sie ihm, die Schamanenhand zu benutzen, obwohl Rileys echte Schwester (und auch die meisten anderen) ihn für  zu jung dafür halten. Dieses Verhalten Mias zeigt sehr treffend die egoistische Absicht hinter dem Verwöhnen von Menschen, für die man Verantwortung tragen sollte. Beim Verwöhnen geht es nur vordergründig um den verwöhnten Menschen, in Wirklichkeit geht es den verwöhnenden Personen um sich selbst: Sei es, dass sie den Verwöhnten an sich binden wollen, sei es, dass sie Schuldgefühle ihm gegenüber haben (zum Beispiel, weil sie insgeheim auch negative Gefühle gegenüber dem Verwöhnten hegen), sei es, dass sie dem Verwöhnten das geben, was sie selbst (als Kind) gerne bekommen hätten, weil sie es als Liebe fehlinterpretieren.

 

Wie egoistisch Mia sich gegenüber Riley verhält, wird kurz darauf deutlich. Riley nimmt durch die Schamanenhand scheinbar Kontakt zu Mias verstorbener Mutter auf. Für Mia ist es nun viel wichtiger mit dem Geist der Toten zu kommunizieren, als Riley davor zu beschützen, dauerhaft besessen zu sein. Dabei ist Mia nicht bewusst, dass sie selbstsüchtig und verantwortungslos handelt. Sie meint es nur gut. Sie will von Riley geliebt werden. Sie sucht die Liebe ihrer Mutter. Aber genau hier wird die gefährliche Seite der Bedürftigkeit deutlich. Und auch wenn es fies und falsch ist, dass die Teenager Mia wegen dieser Eigenschaft eher skeptisch betrachten und ablehnen: Dahinter steckt auch eine vitale Intuition des Selbsterhalts. Denn Mia ist leider gefährlich für sich und andere. Darin liegt die Tragik ihrer Figur. Und gruseliger womöglich als alle Totengeister ist ein Umfeld, das zu sehr mit sich selbst und dem eigenen Smartphone beschäftigt ist, um diese Gefahr und Tragik zu erkennen. 

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