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The Empty Man

Ambitioniert, komplex, mind-blowing

USA 2020    

 Regie: David Prior                           

 Laufzeit: 137 Minuten

 

Handlung: In einer kleinen Stadt im mittleren Westen verschwinden ein paar Teenies. Die Einheimischen glauben, dass die Vermisstenfälle im Zusammenhang mit einer urbanen Legende über einen „Empty Man“ stehen, einer Gestalt, die die Jugendlichen erwähnt haben. Der frühzeitig pensionierte Polizist James Lasombra macht sich auf Wunsch seiner Nachbarin auf die Suche nach dessen Tochter. Bald stößt er auf eine Gruppe namens „Pontifex Institute“, die sich offenbar mit fernöstlicher Mystik befassen. Angeblich kann man durch spirituelle Praxis und Vorstellungskraft ein Wesen erschaffen. 

 

Besprechung: Was sich in der kurzen Beschreibung der Handlung wie ein recht typischer Mix aus Mystery-Horror und Krimi-Thriller liest, ist in Wirklichkeit einer der gedanklich ambitioniertesten Horrorfilme der letzten Jahre. Das macht es auch schwer, ihn zu besprechen. Hier will ich nur sagen, dass ich den Film sehr mag und sehr interessant finde, ihn aber mehrmals sehen musste, um eine Ahnung davon zu bekommen, wovon ich beim Sehen des Films Zeuge werde, welche Interpretationen möglich sind und wie die verschiedenen Blickwinkel miteinander verbunden sind. Ist das eine Geschichte über Depression und Trauma? Über die Kraft des Glaubens und des Gruppenwahns? Eine Reflexion über Horror(filme) und über die soziale Konstruktion von Wirklichkeit?

 

Von der Machart hat der Film ein paar Schwächen. Die Darsteller*innen sind höchstens solide, die optische Gestaltung ist stellenweise etwas flach und das Pacing ist holprig. Im Gegenzug bietet der Film aber einige wirklich originelle Horrormomente, eine nicht vorhersehbare Geschichte und eine intellektuell inspirierende Unheimlichkeit, die weit über Mainstream-Gruselproduktionen hinausgeht und einem H.P. Lovecraft oder Alan Moore gut gefallen hätte. Allein der Einstieg in den Bergen Bhutans ist völlig eigenständig und abgefahren und legt den Grundstein für einen Film, der zwar bekannte Bausteine enthält, aber daraus etwas Neues macht. Und die Musik, die Christopher Young zusammen mit Brian Williams und dessen Projekt „Lustmord“ komponierte, ist die passende Untermalung für diesen Wahnsinn.

 

The Empty Man dürfte polarisieren. Die einen dürften verwirrt und gelangweilt sein, die anderen mitgerissen und aufgewühlt. Horror für Horrornerds würde ich sagen, oder für alle, die sich auf dunkle (philosophische) Gedankenspiele einlassen wollen. 

 

Trivia: Der Film floppte an den Kinokassen, was unter anderem am einfallslosen Marketing gelegen haben dürfte, das den Film wie einen klassischen Teenie-Slasher anpreisen wollte, zum anderen an der Covid-Pandemie, die zum Verschieben des Starttermins führte. „The Empty Man“ erschien unangekündigt in den Kinos und verschwand auch schnell wieder aus ihnen.

 

Der Film basiert lose auf dem Comic „The Empty Man“ von Cullen Bunn und Vanesa R. Del Rey und enthält einige Zitate von und Anspielungen auf den französischen Philosophen Jaques Derrida, der die Denkrichtung der „Dekonstruktion“ begründete.  

 

Im Pontifex Institut hängt ein Bild im Flur, auf dem die Hütte vom Anfang des Films zu sehen ist. 

 

IMDB: 6.2 von 10

Letterboxd-Rating: 3.2 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 4 von 5

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