Gediegenes Grusel-Epos
• USA 2016
• Regie: Gore Verbinski
• Laufzeit: 147 Minuten
Handlung: USA der Gegenwart. Der junge, ehrgeizige Banker Lockhart wird von seinem Unternehmen damit beauftragt, den Firmenchef Pembroke aus einem Wellness-Retreat in der Schweiz abzuholen. Ohne die Unterschriften Pembrokes kann eine geplante Fusion nicht vollzogen werden. Der letzte Brief des CEO legt allerdings nahe, dass er keineswegs zurückkommen will und in den Schweizer Alpen den Verstand verloren hat.
Besprechung: Das ist ein Film ganz nach meinem Geschmack. Schon der an Rosemarys Baby erinnernde Vorspann, bei dem die Kamera zum entrückt-melancholischen Gesang einer Frauenstimme über dunkle Wolkenkratze gleitet, zieht mich in den Bann. Hauptdarsteller Dane DeHaan lässt mich dann bereitwillig tiefer in die Geschichte eintauchen. Er spielt den jungen Banker perfekt: Einerseits ein moralisch zweifelhafter Schnösel mit Bubengesicht, andererseits ein Mensch, hinter dessen brennendem Ehrgeiz ein Trauma lauert. Wir ahnen früh, wie kalt und durchsetzungsstark er sein kann, erkennen aber auch seine Sensibilität und Überforderung. Und schließlich muss man ihn für seinen Mut, seine Intelligenz und seine Zähigkeit bewundern, denn Lockharts Aufenthalt in den Schweizer Alpen gestaltet sich ziemlich aufreibend.
Dabei ist das Setting auf den ersten Blick idyllisch: ein aus der Zeit gefallener Zauberberg, den Kameramann Bojan Bazelli in großartigen Bildern einfängt. Hier kuren reiche und mächtige Menschen im Herbst ihres Lebens, indem sie auf moderne Elektronik verzichten und literweise Heilwasser trinken. Lockhart will nur Pembroke abholen und so schnell wie möglich weg. Doch daraus wird natürlich nichts. Stattdessen findet er sich bald in einem schwarz-romantischen Märchen wieder, das durch den Score von Benjamin Wallfisch passend untermalt wird. Der Kurort wirkt dabei nur äußerlich wie ein Gegenentwurf zur hyper-kapitalistischen Finanzindustrie, aus der Lockhart (locked heart?) kommt. Im Kern sind beide Welten steril, amoralisch und voller Furcht vor dem Tod. Und dem Leben.
Der Horror wird sparsam dosiert in diesem überlangen Film, der über weite Strecken wie ein Mysterythriller wirkt. Wenn es aber fies wird, dann wird es wirklich fies. Menschen mit Aalophobie, gesteigerter Furcht vor Zahnärzten oder traumatischen Inzesterlebnissen sollten sich vorsehen. Gore Verbinski, der bereits 2002 mit seinem Ringu-Remake überzeugen konnte, serviert hier ein 40.000 Millionen Dollar Grusel-Epos für Gourmets, das sich keineswegs an gängige Erwartungen anpasst. Und an den Kinokassen übel floppte. Seitdem hat Verbinski leider keinen Film mehr gedreht.
Trivia: Als Filmkulissen dienten das Schloss Hohenzollern im deutschen Hechingen, und die Beelitzer Heilstätten bei Berlin. Für den Film renovierte die Filmcrew einige der Räume des runtergekommenen Gebäudekomplexes, der im Ersten Weltkrieg als Krankenhaus für Soldaten genutzt wurden. Unter den Patienten damals war auch Adolf Schickelgruber, der sich später Hitler nannte. Die Schweizer Alpen wurden per Computeranimationen eingefügt.
Dies war der erste Horrorfilm, in dem die damals 23-jährige Mia Goth eine Rolle spielte. Heute ist sie dank Hauptrollen in Filme wie „X“, „Pearl“ oder „Infinity Pool“ eine echte Genre-Größe.
Horrornerds entdecken bei Minute 52 eine visuelle Anspielung auf Gore Verbinskis „The Ring“.
IMDB: 6.4 von 10
Letterboxd-Rating: 3.1 von 5
Neft-Rating: 4 von 5
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Steffelowski (Montag, 20 Mai 2024 11:43)
Die Beelitzer Heilstätten werde ich mir demnächst selbst mal anschauen. Bin gespannt. Den Film fand schon kurios und irgendwie „anders“. Leider - und da bin ich bei dir - etwas zu lang.
Anselm (Donnerstag, 23 Mai 2024 19:10)
Oh, schön. Viel Freude beim Besichtigen. Ich fand "A Cure for Wellness" gar nicht zu lang. Wenn mir die Atmospähre und die Figuren gefallen, dann kann ich Überlänge vertragen.