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Die Farbe aus dem All

Lovecraft-Adaption zwischen camp und cosmic horror

USA 2019    

 Regie: Richard Stanley                            

 Laufzeit: 111 Minuten

 

Handlung: Nathan Gardener zieht mit seiner krebskranken Frau und drei Kindern nach New England auf die entlegene Farm seines verstorbenen Vaters. Dort will die Familie fernab vom Trubel der Großstadt zur Ruhe kommen. Eines nachts fällt allerdings ein Meteorit vom Himmel in den Garten und verströmt eine sonderbare Farbe. Die Gardeners müssen feststellen, dass dieses kosmische Phänomen alles um sich herum verändert, auch die fünfköpfige Familie selbst.

 

Besprechung: Nicolas Cage ist eine große Stärke und zugleich eine große Schwäche des Films. Ich sehe den exzentrischen Mimen immer gerne. Seine Performance ist auch hier fesselnd und spaßig, vermindert aber die Lovecraft-Vibes, um die sich der Film bemüht. Es ist ohnehin schwer, die kosmischen Horrorgeschichten von H.P. Lovecraft gut zu verfilmen, denn in ihrer Essenz haben sie etwas Unfilmisches. Zum einen stehen nicht Charaktere im Fokus. Es geht nicht um zwischenmenschliche Verwicklungen, Heldenreisen, love interests oder die persönliche Entwicklung einer konfliktbehafteten Hauptfigur. Vielmehr beschreiben die meisten Lovecraftgeschichten Einweihungen in zerstörerisches Wissen. Ein nicht sehr markanter Protagonist (eher Chronist) erkennt nach und nach und zunehmend verstört Zusammenhänge, die ein grauenhaftes Bild der Wirklichkeit zeichnen: Wir sind bedeutungslose Zellhaufen in einem kalten, sinnlosen Universum, dessen Götter dämonisch sind. Dabei handelt es sich um intellektuelles Wissen, das nur schwer über Bilder und Figuren zu vermitteln ist. Genaugenommen schadet es den Phänomenen und Wesenheiten des Lovecraft-Universums, wenn man sie zu sehr ins Licht holt. Von einem gemalten Grusel-Cthulhu zu einem putzigen Stofftier-Cthulhu ist es nur ein kleiner Schritt. Du sollst dir kein Bild von den Großen Alten machen, sondern nur dem Gestammel derer zuhören, die das Pech hatten, einen von ihnen zu sehen.

 

Zurück zum Film: Cage darf hier wieder richtig aufdrehen und mehrmals markant aus sich rausgehen. Das ist sehr unterhaltsam, lässt „Die Farbe aus dem All“ aber auch unentschlossen zwischen Camp und ernstgemeintem Horror oszillieren. Denn der Film nimmt seine Vorlage durchaus ernst, bietet richtig fiese Szenen und untergräbt die pessimistische Weltsicht Lovecrafts nicht. Gleichzeitig sehen wir aber auch, wie Cage Alpakas melkt oder eines seiner typischen Stress-Gesichter macht.

 

Es gibt leider noch mehr zu meckern: Die Effekte, ob handgemacht oder computererzeugt, könnten besser und – wenn es um die Farbe geht, subtiler sein. Der Film entscheidet sich aber fürs psychedelische Spektakel in Pink und verdichtet einen in der Geschichte schleichenden Prozess auf wenige Tage, in denen die Farm der Gardners sehr schnell den Bach runtergeht. 

 

Das liest sich nun negativer als ich den Film wahrnehme, denn er macht Spaß, ist kein Produkt von der Stange, nimmt sich Zeit seine Figuren zu etablieren, hat ein starkes Sound Design, ein paar super-wirksame jump scares und wuchtige Filmmusik von Colin Stetson (einem kanadischen Jazzmusiker, der auch den Score für Hereditary", den 2022er „The Texas Chainsaw Massacre" oder The Menu" beisteuerte). 

Was bleibt, ist eine schräge, teils tatsächlich verstörende Verfilmung einer eigentlich nicht verfilmbaren Geschichte.

 

Trivia: Regisseur Richard Stanley wollte eigentlich eine ganze Lovecraft-Trilogie drehen und hatte schon „Das Grauen von Dunwich“ geplant. Seine Verfilmung von „Die Farbe aus dem All“ war allerdings ein großer Flop, der von geschätzten 12 Millionen Dollar Budget nur 1 Millionen Dollar einspielte. Seitdem liegen die künftigen Lovecraft-Projekte auf Eis.

 

Für Lovecraft- und Okkult-Nerds gibt es ein paar Ostereier im Film. Das eleganteste darunter ist der Verweis auf „Die Weiden“, eine Erzählung von Algernon Blackwood, die Lovecraft als die „beste übernatürliche Erzählung in englischer Sprache“ ansah. 

 

Es gibt weitere Verfilmungen von „Die Farbe aus dem All“, darunter „Das Grauen auf Schloss Witley“ (1965), eine trotz Boris Karloff leider nur mittelmäßige Adaption und Die Farbe (2010). Letzterer ist ein deutscher low-budget Film von Huan Vu, der (größtenteils) in Schwarz-Weiß gedreht wurde und die Antithese zum hier besprochenen Film ist: ruhig, langsam, andeutend. Lovecraft selbst hätte diese kleine Produktion trotz des recht deutschen Schauspiels wahrscheinlich besser gefallen als das unterhaltsame Spektakel mit Cage. Wer dieses ambitionierte Projekt kostenlos streamen will, wird hier fündig: „Die Farbe“

 

IMDB: 6.2 von 10

Letterboxd-Rating: 3.2 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 3.5 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Sigmund Freud befasste sich 1917 in seiner Schrift „Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse“ mit den Widerständen, die Menschen gegen die von ihm entwickelte Erforschung des Seelenlebens haben. Dabei nennt er auch die drei „Kränkungen der Menschheit“, die durch wissenschaftliche Entdeckungen verursacht werden:

 

Die kosmologische Kränkung liegt in der Erkenntnis, dass unsere Erde keineswegs der Mittelpunkt des Weltalls ist und die Sonne nicht um die Erde kreist. Genau genommen ist unser Sonnensystem nur eines unter unzähligen, jeder Stern, den wir sehen, ist das Licht einer Sonne, das unsere Erde erreicht. 

 

Die biologische Kränkung entsteht durch die Entdeckung, dass der Mensch vom Affen abstammt und Teil eines evolutionären Prozesses ist, keine von Anfang an fast perfekte göttliche Schöpfung.

 

Die psychologische Kränkung schließlich schreibt sich Freud auf die eigene Kappe: Die Einsicht, dass wir oft vom Unbewussten beherrscht werden, also den Teilen, Prägungen und Routinen unserer Persönlichkeit, die unserer Aufmerksamkeit in der Regel entgehen. Diese Sichtweise hatte der Philosoph Schopenhauer bereits philosophisch vorweggenommen („Der Mensch kann tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“)

 

Der amerikanische Horrorautor Howard Philipps Lovecraft (1890 – 1937) hatte ein tiefgehendes Gespür für diese Kränkungen und fühlte sich zeitlebens den Wissenschaften und einer nüchternen Betrachtungsweise verpflichtet, die ihn leider auch für einige Jahre in die Untiefen rassistischer Pseudowissenschaft führte. Lovecraft gilt als der Begründer des cosmic horror. Anders als in vielen anderen Angstgeschichten stehen im cosmic horror nicht persönliche Konflikte, unterdrückte Triebe, verdrängte Traumata und die Angst vor bösen Menschen im Vordergrund. Vielmehr geht es um die in den Wahnsinn treibende Erkenntnis, dass der Kosmos selbst sinnlos und feindlich ist, ein wimmelndes Chaos voller Dinge jenseits unseres Fassungsvermögens. Menschliche Interessen, Wünsche, Gesetze und Moralvorstellungen haben keinerlei Bedeutung in einem Universum, in dem der Mensch nur ein lächerliches Zufallsprodukt ist. Für Lovecraft und die Protagonisten seiner Geschichten liegt der Schrecken schlicht in der Erkenntnis der eigenen Ohnmacht.

 

Wissenschaftlich liegt Lovecraft mit seiner Weltsicht keineswegs daneben. Psychologisch gibt es auf die Situation des Menschen im Universum aber verschiedene Antworten, die sehr wahrscheinlich viel damit zu tun haben, was wir als Babys und Kleinkinder erlebt haben. Auf die Größe und Unergründlichkeit des Universums, unsere Ohnmacht und das Wissen um unsere Sterblichkeit können wir mit Verstörung reagieren, oder mit Vertrauen.

 

Oder um es in den Worten des Mythenforschers Joseph Campell zu sagen: „Der Psychotiker ertrinkt in den gleichen Gewässern, in denen der Mystiker freudvoll schwimmt.“ 

 

Lovecraft nun ist nicht ertrunken, hat seine rassistischen und anti-emanzipatorischen Sichtweisen in den letzten Lebensjahren aufgegeben und schließlich sozialistische, humanistische Ideen vertreten. Sein Kniff bestand allerdings nicht in einer vertrauensvollen Hingabe an eine mystische Vereinigung mit einem letztlich guten Gott/Universum, sondern in der lustvollen Darstellung seiner Angstphantasien und einer rastlosen Lektüre und Korrespondenz. Lovecraft soll in seinem kurzen Leben 100.000 Briefe, oft zu wissenschaftlichen und literarischen Themen, geschrieben haben. Anders als sein Vater, der in Lovecrafts Kindheit in eine Psychiatrie eingewiesen wurde, blieb Lovecraft gesund genug, um ein eigenständiges Leben führen zu können und der tendenziellen Grauenhaftigkeit der menschlichen Existenz mit Neugier und Kreativität ins Auge zu blicken. Vielleicht hat der Horrorautor Thomas Ligotti zumindest für manche Menschen Recht, wenn er sagt: "We may hide from horror only in the heart of horror."  

 

Lektürehinweis: „Verstörung und Vertrauen. Negative Theologie in Existenzphilosophie und Psychologie“ (von Dr. Rico Gutschmidt) 

 

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