Ungemütlich realistischer Film über einen Serienmörder
• Österreich 1983
• Regie: Gerald Kargl
• Laufzeit: 83 Minuten / 75 Minuten (Director‘s Cut)
Handlung: Ein junger Mann wird aus einer österreichischen Strafanstalt entlassen. In der Freiheit wartet niemand auf ihn, auch kein psychologisches Betreuungsangebot. Aber er hat eh anderes vor. Er will gleich da weiter machen, wo er vor vielen Jahren aufgehört hat: Menschen ermorden. Und ihnen dabei so schlimm Angst machen, wie er sie selbst als Kind ertragen musste.
Besprechung: Dieser wenig bekannte Film basiert auf dem „Dreifachmord von St. Pölten“, ein 1980 von Werner Kniesek begangenes Verbrechen. Kniesek war allerdings nur auf Hafturlaub und nicht endgültig entlassen und trug im Vergleich zum Filmkiller eine Gaspistole bei sich. Auch kürzt der Film deutlich die Martern, die Kniesek seinen Opfern zumutete und gibt dem Täter eine leicht veränderte Biografie. Von dieser erfahren wir im Film vom Mörder selbst, der per Voice-Over den deutlich größten Redeanteil hat und uns an seinen Gedanken teilhaben lässt.
Wer jetzt vermutet, dass dieser für etwa 400.000 Euro Budget gedrehte Film eine sehr unangenehme Erfahrung ist, liegt richtig. Der Mörder ist kein faszinierender Hannibal Lecter und weder hochintelligent noch charismatisch oder komplett beherrscht. Vielmehr bekommen wir eine arme Sau präsentiert, die dennoch extrem gefährlich ist und – getrieben von ihrem schwer beschädigten Innenleben – um Kontrolle ringt.
Der Film gilt in kleinen Kreisen als Kultfilm. Und das ist nachvollziehbar. Das Schauspiel von Erwin Leder als seelisch kranker Serienkiller ist beängstigend glaubwürdig und hallt lange nach. Die österreichischen Provinz-Settings sind trist, karg und fast schon surreal unwirtlich. Eingefangen werden sie durch die starke Kameraarbeit von Zbigniew Rybczyński, der damals seiner Zeit voraus war. Die Bilder wackeln, schwanken, übertragen innere Stimmungen und verursachen motion sickness. Der Score von Tangerine Dream Musiker Klaus Schulze ist psychedelisch, manchmal aber fast zu gefällig für diesen ansonsten sperrigen und durch und durch ungemütlichen Film.
Die Morde sind realistisch in Szene gesetzt und ohne den Trost, den die vergleichsweise hübsch anzusehende Gewalt aus Hollywood-Filmen in der Regel bietet. Vor allem ein Mord und sein Nachspiel in einem Tunnel sind auch für abgebrühte Horrorgucker eine Zumutung.
Wem aber kann man nun einen solchen Film empfehlen? Lohnt es sich, das eigene Gemüt mit so einem zähen Brocken zu beschweren? Lassen sich durch den Film wichtige Einsichten gewinnen? Ich muss ehrlich sagen, dass ich nichts über Serienkiller gelernt habe, was ich nicht schon durch Bücher, Artikel, Dokus oder Filme wusste. 1983 war das Thema allerdings noch vergleichsweise randständig und „Angst“ durchaus aufklärerisch. Auch ist der cineastisch eindrucksvolle Film bis heute ein gutes Gegenmittel zu den ganzen Märchen-Serienmördern, wie sie in Krimis, Thrillern und Horrorfilmen umgehen, um uns wohliges Gruseln zu verschaffen. In „Angst“ ist der Serienmörder kein Sündenbock, auf den man seine dunkelsten Phantasien projizieren kann, bevor man ihn fangen und hinrichten lässt. Vielmehr ist er ein verstörendes Beispiel dafür, was beim Menschsein schrecklich schieflaufen kann. Der Drang, eigenes Leid zu mildern, zu verstehen und zu kommunizieren, kann mörderische Formen annehmen. Und wer noch nie von seinem Unterbewusstsein beherrscht wurde, der werfe den ersten Stein.
Trivia: „Angst“ wurde im Oktober 1983 in drei Wiener Kinos in einer 83-minütigen Version uraufgeführt und sorgte sofort für Kontroversen. In einigen Ländern, darunter Deutschland und Großbritannien, wurde der Film noch vor einer möglichen Premiere verboten. 2007 erschien „Angst“ in einem fokussierteren 75-minütuigen Director’s Cut beim Label Epix auf DVD. Diese Version enthält zusätzlich einführende Worte von Jörg Buttgereit („Nekromantik") und Interviews mit dem Regisseur, Erwin Leder und Klaus Schulze.
Gerald Kargl drehte nach seinem Debütspielfilm „Angst“ leider nie wieder einen Film. Er hatte für den Dreh keinerlei Förderung erhalten, tief in die eigene Tasche gegriffen und schließlich neben einem finanziellen Verlust auch etliche negative Beurteilungen zu verdauen. Der französische Regisseur Gaspar Noé („Irreversibel") ist allerdings ein bekennender Fan des Films, den er eigenen Aussagen nach gut 40 Mal gesehen haben will.
Der Film enthält Originalzitate von Werner Kniesek und anderen Serienmördern. Zum Beispiel von Peter Kürten, der als „Vampir von Düsseldorf“ traurige Bekanntheit erlangte.
IMDB: 7.2 von 10
Letterboxd-Rating: 3.7 von 5
Neft-Rating: 4 von 5
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