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Berberian Sound Studio (Mit Audio)

Vintage-Hommage, -Kritik, -Reflexion

 Vereinigtes Königreich, USA 2012     

 Regie: Peter Strickland                            

 Laufzeit: 92 Minuten

 

Handlung: Der renommierte britische Tontechniker Gilderoy wird in den 1970ern nach Italien gebeten, um bei der Vertonung eines Films mitzuhelfen. Normalerweise arbeitet der schüchterne Brite für Naturdokumentationen, hier aber soll er das Sound-Design eines Horrorfilms verantworten, indem es um gefolterte Hexen und ihre Rache in der Gegenwart geht. Dabei hat Gilderoy nicht nur Probleme mit der Art des Films, sondern auch mit der Sprach- und Kulturbarriere und machohaften Machern des Streifens. Die Atmosphäre im Studio setzt ihm schließlich so weit zu, dass seine Wahrnehmung verrückt spielt.

 

Besprechung: Das ist alles andere als ein typischer Horrorfilm. Darauf deutet bereits Toby Jones in der Hauptrolle hin, der beispielsweise 2006 als Truman Capote in „Infamous“ oder 2020 in Tschechows Bühnenstück „Onkel Wanja“ brillierte. Auch Regisseur Peter Strickland steht bis heute nicht für Filme von der Stange. Und so ist Berberian Sound Studio ein ambitionierter Arthouse-Film geworden, den man als Drama, Thriller, Psychostudie oder eben auch Horrorfilm betrachten kann. Ein origineller Kniff ist dieser: Während wir von dem im Film gedrehten Horrorfilm nur die Titelsequenz zu sehen bekommen, kriegen wir im Gegenzug vor Augen geführt, was üblicherweise im Verborgenen bleibt: Die Soundgestaltung eines Films und die in diesem Fall stark männerdominierte Arbeit „hinter den Kulissen“.  

 

Der Film balanciert sicher auf der feinen Linie zwischen komisch und unheimlich, getragen von einem großartigen Hauptdarsteller. Toby Jones gewinnt der kafkaesken Figur des Gilderoy einige spannende Facetten ab und setzt diese intensiv und glaubhaft in Szene. 

 

Neben einer beunruhigenden, nicht auserzählten Charakterstudie, ist Berberian Sound Studio auch eine atmosphärische Hommage an das Sound-Design von (Horror-)Filmen und den italienischen Giallo. Zugleich erhalten wir aber auch einen sehr kritischen Blick auf die frauenfeindlichen Muster, die sich sowohl in den Filmen selbst als auch in ihren Entstehungsbedingungen zeigen. Wie Berberian Sound Studio den im Film gedrehten Film mit der Dokumentation seiner Entstehung verzahnt, ist ziemlich cool und dürfte nicht nur Cineasten gefallen. Es ist auch toll, wie bewusst man hier erleben kann, das Klänge Filmbilder unterstützen, verändern oder sogar eigene Bilder im Kopf erzeugen können. Der Film beschwört die Geister der Vergangenheit auf fetischhafte Weise, wir können uns an analogen Soundmaschinen und anderem Studiointerieur in vergilbt wirkenden Farben sattsehen, während der Film im Film selbst wie ein Gespenst erscheint: Man sieht es nicht, spürt aber seine unheilvolle Wirkung.

 

Ich frage mich, ob ich den Hexenfolter-Film, der hier vertont wird, gerne sehen würde, oder nicht doch auch wie der englische Ton-Techniker ein ungutes Gefühl hätte. Der Regisseur im Film versucht sein Werk als "wahrhaftig" darzustellen, aber "sensationslüstern", "voyeuristisch" oder "misogyn" würde es wahrscheinlich besser treffen. Übrigens ist nicht nur – natürlich – das Sounddesign in diesem sehr speziellen und rätselhaften Film toll, sondern auch die Kinematographie. Das tröstet über ein paar kleine Längen hinweg, die der Film aufgrund eines nicht gerade komplexen oder geradlinigen Plots hat. Berberian Sound Studio ist eben in erster Linie ein audiovisuelles Erlebnis und zugleich eine Reflexion darüber, wie sich  Geschichte und Fiktion miteinander verbinden und wiederholen können

 

Trivia: Der psychedelische Soundtrack zum Film stammt von der britischen Electro-Band Broadcast und wurde 2013 als Album unter dem Titel „Berberian Sound Studio“ veröffentlicht.

 

Der Name des fiktiven Studios ist eine Hommage an Cathy Berberian, eine amerikanische Sopransängerin. Ihr Ehemann Luciano Berio war ein italienischer Komponist und Pionier der elektronischen Musik. Peter Strickland nennt ihnen und sein Werk als entscheidenden Einfluss für Berberian Sound Studio. Ein anderer Einfluss auf den im Film durch Anspielungen hingewiesen wird, ist der verstörende Film „La morte ha fatto l’uovo“ (Death Laid an Egg) von Giulio Questi aus dem Jahr 1967. 

 

Der Titel des fiktiven Films lautet übrigens „The Equestrian Vortex“ und spielt auf die kryptischen, tierdominierten Titel realer Giallo-Filme an (z.B. „Don’t Torture a Duckling“, „Cat O Nine Tails“ oder „Bird with a Crystal Plumage“). 

 

IMDB: 6.2 von 10

Letterboxd-Rating: 3.3 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 4 von 5 

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Dass die Musik und die Sounds für die Wirkung eines Horrorfilms eine zentrale Rolle spielen, ist weitgehend bekannt. Weniger bekannt ist die Erforschung der psychologischen Wirkung von Klängen. Tatsächlich gibt es ein eigenes Fachgebiet namens Psychoakustik, das sich mit dem Zusammenhang von „Schallereignissen“ mit menschlichen Empfindungen befasst. Die Psychoakustik ist ein Teilgebiet der Psychophysik, einer Disziplin, von der viele noch nie gehört haben, obwohl es eines der ältesten psychologischen Forschungsgebiete ist, seitdem Psychologie als Wissenschaft betrieben wird. Die Psychophysik befasst sich zum Beispiel damit, wie stark ein Reiz sein muss, damit er unsere Wahrnehmungsschwelle überschreitet. Oder wie verschieden zwei Reize sein müssen, damit wir sie als unterschiedlich wahrnehmen. In der Psychoakustik geht es viel um physikalische Schallfeldgrößen, aber eben auch darum, wie diese auf uns wirken. Die Disziplin versucht unsere subjektiven Reaktionen auf Musik, Klänge und Geräusche wissenschaftlich zu erklären.

 

Für Menschen, die Horrorfilme machen, ist die Frage sehr interessant, welche Sounds und Tonfolgen Unwohlsein, Stress und Angst erzeugen. Das geht von dem guten alten Trick, einen Herzschlag abzuspielen, der schneller ist als ein entspanntes Herz. Wir hören den Beat und wahrscheinlich schlägt auch unser Herz schneller, und schon fühlen wir uns etwas unruhiger.  

 

Psycholog*innen haben zu vielen Fragen über die Wirkung von Musik auf unser Empfinden unterschiedliche Ansichten. Als gesichert gilt allerding, dass Musik Bereiche unserer Wahrnehmung anspricht, die tiefer liegen als Erlerntes und kulturell Geprägtes. Bilder können ähnlich wirken, aber es fällt uns leichter, sie rational einzuordnen. Entsprechend ist die Wirkung von Klängen in Horrorfilmen (oder auch in Werbung) subtiler und womöglich intensiver. 

 

Wenn wir Musik hören, durchläuft unser Gehirn einen komplexen Prozess neuronaler Aktivität. Verschiedene Hirnareale arbeiten zusammen, um sich einen Reim auf Tonhöhe, Rhythmus, Intervalle und Melodien zu machen. Dabei spielt auch die Amygdala im limbischen System eine Rolle. Vereinfacht könnte man sagen: In diesem Hirnteil werden Klänge und Musik interpretiert und zu Emotionen. Dabei funktioniert diese Emotionsbildung weitgehend kulturübergreifend: Durklänge in einem hopsenden Rhythmus werden in Deutschland wie in Nigeria als fröhlich interpretiert, Mollklänge in schleppenden Rhythmen als schwermütig – um bei leicht nachvollziehbaren Beispielen zu bleiben. Die emotionale Kraft der Musik speist sich aus bestimmten Chemikalien, die das Hirn beim Hören ausschüttet und die je nach Stück zu anderen Emotionen führen. Generell verstärkt sich die Dopamin-Produktion, wenn wir Musik hören, die uns Freude macht. Bei manchen können das Schlager oder Death-Metal-Songs sein. Daran sieht man, dass die kulturelle Sozialisation und ein persönliches Hörtraining, sowie die eigene Zuschreibung beim Zusammenhang von Klang und Gefühl doch eine Rolle spielen.

 

Ein schönes Audio-Feature des Deutschlandfunks über den Einsatz von Musik und Geräuschen im Horrorfilm findet sich hier.

 

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