Großartiger film noir mit Horroreinschlag
• Großbritannien, Kanada, USA 1987
• Regie: Alan Parker
• Laufzeit: 113 Minuten
Handlung: Brooklyn 1955. Der heruntergekommene Privatdetektiv Harold Angel wird zu einem mysteriösen Mandanten bestellt, dem so eleganten wie undurchsichtigen Gentleman Louis Cypher. Dieser will, dass Angel den verschwundenen Schnulzensänger Johnny Favorite für ihn aufsucht. Der schuldet Cypher nämlich noch was. Angel begibt sich auf die Suche, erst in New York, dann in New Orleans, wo Voodoo den Alltag der schwarzen Bevölkerung beherrscht.
Besprechung: Zuerst bin ich mit 14 Jahren auf diesen Film gestoßen, als ich in einer Ausgabe der „Cinema“ blätterte. Der Text zum Film und vor allem die Fotos regten meine Phantasie enorm an. Das schien ja ein ganz krasser Streifen zu sein. Als ich ihn mir dann ein paar Jahre später in einer Videothek auslieh und ansah, war ich ein wenig enttäuscht. Ich hatte mir längst eine ganz andere Geschichte zusammenphantasiert. Außerdem fand ich die Rolle von Robert De Niro etwas doof. Der Mann war damals (seit „Taxi Driver“) mein absoluter Lieblingsschauspieler, und nun spielte er einen Typ mit spitz gefeilten Fingernägeln, der „Louis Cypher“ hieß und auf aufreizende Weise ein hartgekochtes Ei aß. Und der Detektiv heißt Angel. Huhuhu! Also echt Mal, für so einen Blödsinn war ich mit 18 zu alt!
Als ich den Film neulich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder gesehen habe, war ich erstaunt. Ich hatte entweder vergessen, oder als Teenager nicht gewürdigt, wie toll „Angel Heart“ fotografiert ist. Was Kameramann Michael Seresin hier erschaffen hat, lohnt bereits das Angucken. Etliche Einstellungen würde ich mir als Poster hinter Glas Rahmen, wenn ich den Platz dazu hätte. Die Bildsprache ist suggestiv, aber nicht plakativ, stilsicher, aber nicht angeberisch. Und die Montagen sind für damals fast schon wegweisend. Wer sich fragt, warum „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ besser aussieht als die anderen Teile der Reihe: Die Kameraarbeit stammt auch dort von Michael Seresin.
Auch der Score des südafrikanischen Komponisten Trevor Jones und der Soundtrack sind richtig geil, und das obwohl manchmal ein Saxophon zu hören ist, das Alptraum-Instrument dieser Tage. Das wird allerdings ziemlich gut gespielt, und zwar von dem britischen Jazzmusiker Courtney Pine.
Mickey Rourke spielt die zwielichtige Figur des Privatdetektivs Harold Angel bewundernswert facettenreich. Von charmant und sensibel bis kalt und manipulativ. Von verlorenem Jungen bis Pick-up-Artist. So gut war Rourke, der danach auch persönlich runterkam, tatsächlich nie wieder. Auch alle anderen Darsteller*innen in dem Film haben mich überzeugt, vor allem die noch sehr junge Lisa Bonet, die damals aus der Bill-Cosby-Show bekannt war, und Charlotte Rampling, die aktuell in Dune 2 zu sehen ist.
Der Film ist gut gealtert, denn auch wenn die schwarze Bevölkerung New Yorks oder der Südstaaten teilweise in exotischen Zusammenhängen präsentiert wird – die Riten und Verhaltensweisen der weißen Bevölkerung wirken mindestens genauso fremdartig. Es ist eine der besonderen Stärken des Films, das Fremdartige als das Vertraute aus anderer Perspektive erscheinen zu lassen. Und umgekehrt. Wieder einmal lässt sich Freuds Theorie über „das Unheimliche“ auf einen Film anwenden: Das Unheimliche ist nicht das Fremde, sondern das Vertraute, das fremd geworden ist, weil man es verdrängt oder anderweitig aus dem Blick verloren hat.
Die spezifische Erotik des Films war damals kontrovers und ist es sicher auch heute noch. Und das ist gut so, denn sie trägt zur Charakterisierung der Hauptfigur bei, die stark an die klassischen film noir Antihelden angelehnt ist. Angel ist ein ehemaliger Soldat, der nun keinen richtigen Halt im Leben zu haben scheint. Er gießt sich gerne einen ein, raucht wie ein Schlot und kann überraschend skrupellos sein, wenn es seinen Zwecken dient. Dabei scheint er ständig auf der Suche nach etwas zu sein, was er außerhalb von sich selbst vermutet.
Der Film konnte sein Budget von schlappen 17 Millionen Dollar nicht einspielen und erhielt eher durchwachsene Kritiken. Heute gilt er vielen Cineast*innen als Klassiker. Womöglich war Parker mit seinem 1955 spielenden „Noir“ im Jahr 1987 etwas zu früh dran.
Trivia: Der Film basiert auf dem 1978 erschienenen Roman „Falling Angel“ von William Hjortsberg. Das Buch spielt komplett in New York City, der Film hingegen auch etwa zur Hälfte in New Orleans. Die Anregung dazu erhielt Alan Parker von Hjortsberg selbst.
Ursprünglich war Marlon Brando für die Rolle des Louis Cypher vorgesehen. Alan Parker bereute es nicht, dass er De Niro für den Part verpflichten konnte. Laut Aussage des Regisseurs fand er De Niros Performance so unheimlich, dass er beim Drehen der Szenen gar nicht dabei war, sondern dem Schauspieler selbst die Regie überließ.
Der Film mit seinen Montagen, seiner Atmosphäre und seinen Themen war stilbildend für etliche spätere Filme. Christoph Nolan sagt zum Beispiel, dass "Angel Heart" eine wichtige Inspiration für seinen Film "Memento" gewesen sei.
Wer sich fragt, ob der Satz „Wie schrecklich ist Wissen, für den der weiß, und dem das Wissen nichts nützt“ ein Zitat ist: Ja, ist es. Und zwar aus der antiken Tragödie „Ödipus“ von Sophokles.
IMDB: 7.2 von 10
Letterboxd-Rating: 3.6 von 5
Neft-Rating: 4.5 von 5
// HOPSYS GEDANKEN
(Achtung: tendiert Richtung Spoiler!)
Angel Heart ist voller Symbole und Anspielungen. Dabei lenken die offensichtlicheren – vor allem Namen wie Angel, Epiphany oder Louis Cypher – von den weniger offensichtlichen ab. Wer den Film zum zweiten oder dritten Mal sieht, achtet womöglich eher auf die Szenen, in denen ein Herzschlag ertönt oder ein Ventilator zu sehen ist, der sich mal schneller, mal langsamer dreht. Auch das Motiv des Auf- und Absteigens durch Wendeltreppen oder Fahrstühle ist im Film mehrmals und genau platziert. Und natürlich darf auch ein Spiegel nicht fehlen, der seinen Zustand ähnlich verändert, wie der anfangs noch saubere, helle Anzug von Harry Angel. Beim wiederholten Schauen des Films ergeben auch die Flashbacks Sinn, sowie die Kulissenhaftigkeit etlicher Szenen. Gerade eine Passage auf Coney Island wirkt völlig entrückt, und so, als ob Angel den Bezug zur Realität verloren hat. Tatsächlich bildet das ein mögliches Trauma-Symptom gut ab: die Dissoziation, also Abspaltung von Fühlen, Denken, Wahrnehmen, so dass ein Gefühl der Unwirklichkeit entstehen kann. Darüber hinaus hat es aber auch mit einer noch tieferen Ebene des Films zu tun, auf der es um verdrängte und verleugnete Schuld geht: Da Harry Angel die Augen vor der Realität seiner wahren Identität verschließt, kann sein Realitätsbezug nicht besonders stark und seine Verbindung zu sich und anderen nicht ausgeprägt sein.
In der freudschen Tiefenpsychologie spielt der Begriff „Abwehrmechanismen“ eine zentrale Rolle. Es handelt sich dieser psychologischen Schule nach um Versuche, sich selbst zu schützen, indem man beispielsweise unangenehme Gefühle verdrängt, also zum Beispiel die Scham darüber, ein Alkoholiker zu sein. Andere Abwehrmechanismen neben der "Verdrängung" sind in der Tiefenpsychologie beispielsweise „Verleugnen“, wobei nicht Gefühle verdrängt, sondern Teile der Realität übersehen oder als komplett unwichtig kategorisiert werden, oder die „Projektion“, bei der eigene psychische Affekte und Absichten anderen zugeschrieben werden. So sah Freud beispielsweise in der Paranoia eine Projektion eigener Feindseligkeit oder Fremdgehabsichten auf andere, von denen man sich nun verfolgt oder betrogen fühle. Entsprechend kann sich ein Mensch, der seine eigene Homosexualität verleugnet, im Zuge einer Projektion, von Homosexuellen geradezu verfolgt fühlen. (1) Der Aspekt der Projektion ist in Bezug auf Paranoia bis heute berücksichtigenswert, aber sicher nicht ausreichend, für eine umfassendere Erklärung des Phänomens (2). Für die Betrachtung von Angel Heart ist allerdings nur wichtig, das Konzept der „Abwehrmechanismen“ zu verstehen, mit denen Menschen meist unbewusst versuchen, Unangenehmes aus ihrer Wahrnehmung zu verbannen oder gar nicht erst bis dort vordringen zu lassen.
Wer sich fragt, warum er einen eigentlich wichtigen Arzttermin zufällig vergessen hat: Verdrängung. Oder wie Mütter es eigentlich übersehen können, dass ihre Kinder vom eigenen Vater missbraucht werden: Verleugnung. Wer sich fragt, wie manche mit der Schuld eines Mordes leben, als sei nichts passiert: Spaltung. Wer sich fragt, wie die deutsche Kriegsgeneration nach der Nazi-Zeit so schnell und tüchtig mit dem Aufbau Deutschlands weitermachen konnte: Verdrängung, Verleugnung, Verneinung, Reaktionsbildung und eine Reihe anderer Abwehrmechanismen. Das manche sogenannte Abwehrmechanismen einerseits gesunde Bewältigungsstrategien darstellen (3) und andererseits körperlich krank machen können (4), legt heutige Forschung nahe.
Und tatsächlich ist die Verleugnung der Realität auch in Angel Heart ein zweischneidiges Schwert. Einerseits weiß Harry Angel gar nicht, wer er ist, und lebt dadurch ein irgendwie leer und verhuscht wirkendes Leben. Andererseits schützt ihn das Nichtwissen vor einer Reihe sehr unangenehmer Einsichten, die sowohl ihn als Opfer (Harry Angel) als auch als Täter (Johnny Favorite) betreffen. Das ist das Großartige an der von Mickey Rourke verkörperten Figur: Sie ist doppelt angelegt, ein Opfer, das nicht mehr weiß, dass es ein Opfer ist, und ein Täter, der nicht mehr weiß, dass er ein Täter ist. Beides verdrängen und verleugnen Menschen gerne.
Für den Freudschüler C.G. Jung gab es sogar den Archetyp des „Schatten“. Damit meinte er sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene alles, was wir vor uns selbst verbergen, um unser positives (naives) Selbstbild als Mensch oder Gemeinschaft nicht zu beschädigen. Für Jung besteht der Mensch aus einem Ich-Bewusstsein, einer der Öffentlichkeit präsentierten „Persona“ (also, wie wir uns anderen gegenüber geben) und einem unbewussten persönlichen und archetypischen (kollektiven) Schatten. Dieser spielt für unsere Persönlichkeit gerade deswegen so eine große Rolle, weil wir ihn verleugnen, vergessen, ignorieren. Denn dadurch verschwindet er nicht, sondern wird erst mächtig, indem er uns in vielerlei Gestalt begegnet: von psychosomatischen Beschwerden über Ängste, Alpträume, Neurosen und Zwangsgedanken, bis zu Depressionen oder Wahnvorstellungen. Nach Jung bedeutet psychische Gesundheit vor allem: die eigene dunkle Seite in den Blick nehmen und in das eigene Selbstbild konstruktiv integrieren. (5)
In Horrorfilmen begegnet uns der Schatten auf alle möglichen Weisen, und das jungsche Konzept scheint wie geschaffen für Filmemacher des dunklen Genres. In Angel Heart begibt sich Harry Angel im Auftrage Louis Cyphers auf die Suche nach seinem Schatten, ohne zu wissen, was er tut. Das Ergebnis ist allerdings keine Reifung der Persönlichkeit, sondern die finale Höllenfahrt. Die Reise bis dahin mit all ihren Ambivalenzen und Gegensatzpaaren hätte Jung aber wahrscheinlich gefallen.
1) https://www.projekt-gutenberg.org/freud/paranoia/chap004.html
2) https://www.oberbergkliniken.de/symptome/paranoia
5) https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/download/pdf/3362177?originalFilename=true
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Steffelowski (Freitag, 29 März 2024 17:18)
Ein Film, der schon nahezu perfekt ist. Ein zeitloser Klassiker, wenn man sich auf die zum Teil etwas sperrige Erzählweise einlässt.
Ein Stück Trivia hätte ich auch noch im Köcher: Angel Heart ist einer der wenigen Filme, in denen De Niro in der deutschen Fassung nicht von Christian Brückner synchronisiert wurde.
Anselm (Samstag, 30 März 2024 16:12)
Ah, schöne Info, das wusste ich nicht und ist mir auch nie aufgefallen. Ich hätte dem Film 5 Sterne gegeben, wenn die Glühaugen nicht gewesen wären und die Figur des Louis Cypher völlig bescheiden und unauffällig gewesen wäre. Diese Glamouröse ist in meinen Augen nicht die beste Wahl, auch wenn es seinen Charme hat.