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Jessy – Die Treppe in den Tod (Black Christmas)

Progressiver Pionier des Slasher-Films

Kanada 1974     

 Regie: Bob Clark                            

 Laufzeit: 98 Minuten

 

Handlung: Weihnachtszeit in einer Studentinnenverbindung. Während die meisten „Schwestern“ sich zu ihren Eltern aufgemacht haben, verbringen ein paar die Feiertage lieber mit ihrer exzentrischen, trinkfreudigen Hausmutter im Verbindungshaus bei Weihnachtsmusik und viel Alkohol. Bald klingelt das Telefon und ein Anrufer spricht in verschiedenen Stimmen, grunzt obszöne Phantasien und –als sich eine von ihnen über ihn lustig macht – droht den Mädchen mit dem Tod. Kurz danach verschwindet Verbindungsschwester Clare, aber die Polizei geht noch davon aus, dass sie nur bei ihrem Boyfriend ist. Bis eine Leiche gefunden wird.

 

Besprechung: Das ist ein toller Film mit intensiver Atmosphäre und voller Spannung, Grusel und Witz. Dass der 50 Jahre alte Film auch heute noch so gut funktioniert, liegt vor allem an seinen Frauenfiguren, die unterschiedlich und eigenwillig sind und doch letztlich zusammenhalten. Vor allem Hauptfigur Jessy (Olivia Hussey) ist eine großartige Identifikationsfigur, weil sie viele Ressourcen hat: mitfühlend, tapfer, aufmerksam, klar, und nicht bereit, sich männlichen Vorstellungen unterzuordnen. Ihr Freund, ein ambitionierter, aber erfolgloser Pianist, wirkt dagegen wie ein kleiner Junge, der wütend wird, wenn er nicht bekommt, was er will. Die anderen Verbindungsschwestern reichen von der versoffenen Barb (Margot Kidder), die so wirkt, als hätte sie eine Persönlichkeitsstörung, über die freundliche Phyl (Andrea Martin) bis zur ängstlichen Clare (Lynne Griffin). 

 

Das weihnachtliche Setting des Films trägt sehr zur verwunschenen Stimmung des Films bei. Dazu kommt ein tolles Sounddesign, dass mit Hundegebell, heulendem Wind oder Sirenengeheul immer wieder eine bedrohliche Atmosphäre zu schaffen weiß. Auch der Score, die Kameraarbeit und die Farbgebung des nicht einmal 700.000 Dollar teuren Films sind richtig gut. Und so lustig oder anarchisch manche Szenen sind: Die Anrufe und Morde und der Dachboden des Verbindungshauses sind unheimlich genug, um auch heute noch Grusel zu erzeugen. Der Film sprüht vor Charme und Originalität und ist damals leider nach mäßigen Kritiken und Einspielergebnissen weitgehend in der Versenkung verschwunden. Stattdessen ließ Regisseur Bob Clark später die Klassen klingeln mit den „Sexkomödien“  „Porkys“ und „Porkys II“, die als Vorlagen für weitere Fragwürdigkeiten wie die „American Pie“ Reihe dienten.

 

Trivia: Das Leben ist nicht fair. John Carpenter, der immer ein Näschen dafür hatte, sich an guten, aber wenig bekannten Filmen zu bedienen, ließ sich von „Black Christmas“ zu seinem 70 Millionen Dollar Erfolg „Halloween“ inspirieren. Auch hier geht ein Killer an einem Feiertag um. Auch hier ist es ein Psychopath, der es vor allem auf junge Frauen abgesehen hat. Auch hier gibt es ein final girl, das besonders charakterfest wirkt. Und auch hier gibt es den Point of View aus der Sicht des Killers, wie er in "Jessy – Die Treppe in den Tod" gleich in der Eröffnungsszene genutzt wurde. Vergleicht man die beiden Filme, so ist Halloween tatsächlich noch spannender und hat die ikonischeren Szenen. Aber Black Christmas ist sympathischer und kauziger – und kann zusammen mit „Torso – Die Säge des Teufels“ (1973), „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ (1972) und Im Blutrausch des Satans" (1971) als ein Pionier des Slasher-Genres gelten. Da die drei letztgenannten Filme allerdings in Italien entstanden sind, gelten sie tendenziell als Gialli. Eine wissenschaftliche Arbeit über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Subgenres Giallo und Slasher findet sich hier.

 

IMDB: 7.1 von 10

Letterboxd-Rating: 3.8 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 4.5 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Es gibt zwei Neuverfilmungen von Jessy – Die Treppe in den Tod. Beide erzählen neue Geschichten im gleichen Setting. Dadurch entsteht die Möglichkeit, sich die Darstellung junger Verbindungsschwestern in einem Film der 1970er, einem Film der 2000er und einem fast zeitgenössischen Film anzusehen und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu betrachten.

 

Die erste Neuauflage namens „Black Christmas“ entstand 2006 unter der Regie von Glen Morgan. Hier sind die Verbindungsschwestern normschöne, stark geschminkte Tussis, die am Weihnachtsabend gelangweilt im Verbindungshaus herumdümpeln. Die eine feilt sich die Nägel, die andere lackiert sie, die dritte tippt auf dem Handy herum und die vierte süppelt Wein, während die nichtssagende Verbindungsmutter das Geschenkewichteln in Schwung bringen will. Charme, Lebendigkeit und schwesterlichen Zusammenhalt wie im Original sucht man größtenteils vergeblich. Ich hatte sogar Mühe, die jungen Frauen auseinander zu halten. Dafür sind eure Mütter nicht auf die Straße gegangen! 

 

Black Christmas" von 2006 ist deutlich brutaler (man greife zur 94 Minuten langen unrated -Version) und durchaus geschickt darin, trotz der eher egalen Figuren Spannung und Grusel zu erzeugen. Das Tempo steigert sich während des Films und die Kamera weiß die Weite und Enge von Räumen gut zu nutzen. Wie so oft in Sequels oder Neuauflagen bekommen wir diesmal auch eine Hintergrundgeschichte zum Killer präsentiert, die tonal nicht zum Film passt. Die bedrückende Kindheit voller Traumatisierungen wirkt in einem nicht gerade tiefsinnigen Slasher effekthascherisch und hat obendrein den Haken, dass das progressive Element des Originals dadurch völlig flöten geht. Denn während dort männliche Normalität und psychopathischer Irrsinn ziemlich nahe beieinander zu liegen scheinen und etwas „Gesellschaftliches“ haben, bietet die Neuauflage eine psychologische Erklärung, die als individueller Sonderfall erscheint, bei dem – unwohlwollend betrachtet – einfach die Mutter schuld ist.

 

Ist Black Christmas von 2006 ein Einzelfall? Ich denke nicht. Die 2000er waren nicht so progressiv, wie sie von sich dachten. Vermutlich gerade, weil es dem Zeitgeist entsprach, zu denken, dass die Gleichberechtigung weitgehend erreicht war. Dieses manchmal „Postfeminismus“ genannte Phänomen begann in der westlichen Welt bereits in den 1990ern und ging mit einer geringeren Unterstützung für die „Frauenbewegung“ einher, bei gleichzeitiger Normalisierung von Rechten, die wenige Jahre oder Jahrzehnte früher noch erkämpft werden mussten. Typisch für diese Phase scheint mir, dass auch viele Feminist*innen dachten, dass sich Emanzipation und Populärkultur gut miteinander verbinden ließen und erfolgreiche Serien wie „Buffy – im Bann der Dämonen“, „Sex and the City“ oder „Gilmore Girls“ belegten, wie frei die Frauen mittlerweile waren. Sieht man sich allerdings diese Serien heute an, fällt auf: sehr weiß, sehr mittelschichtig (oder upper-class), und zumindest im Falle der „Gilmore Girls“ in vielen Punkten nicht gut gealtert (z.B. ätzende Mutter-Tochter-„Freundschaft“). In Filmen der 2000er ist der „male gaze“ auch noch allgegenwärtig, also eine Darstellung von Frauen als sexy Körper, eingefangen von einer Kamera, die gerne mal länger auf einem Hintern ruht, oder die nackten Beine herauffährt, wie das Auge eines Voyeurs, wohingegen männliche Hintern und Beine nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhalten. Erst in den letzten Jahren sind solche Darstellungsweisen nicht nur problematisiert worden, sondern auch stärker ins öffentliche Bewusstsein (vor allem der jüngeren Generation) gerückt und in etlichen Filmen und Serien bewusst vermieden. Gleichzeitig sieht man auf Netflix oder Amazon Prime nun häufiger ältere Frauen, die alle möglichen Rollen spielen, die nichts mit Mütterlichkeit zu tun haben müssen.

 

Wie um meine etwas grob hingetupfte Hypothese zu bestätigen, ist „Black Christmas“ von 2019 (Regie Sophia Takal) das Gegenmodell zur Neuverfilmung von 2006. Das feministische Element, das im Original als Haltung mitschwang, wird nun zum deutlich zur Schau gestellten Kern des Films. Eine sympathische Gruppe unterschiedlicher Frauen um die progressiv wirkende Riley (Imogen Poots) bereitet sich auf die Weihnachtstage in ihrem Verbindungshaus vor, als die Erste von ihnen verschwindet. Zeitgenössische (universitäre) Debatten wie „männlich dominierter Lektüre-Kanon“, „Rape-Culture“, „Stalking“, „Männerangst vor Menstruation“ oder die Beseitigung von Büsten rassistischer Campus-Gründerväter werden hier ausbuchstabiert und kulminieren in einem Finale, in dem der Kampf Frauen gegen Männer nicht allein wie ein Kampf zwischen Tradition und Moderne, sondern wie das Gefecht zwischen gut und böse wirkt. Das ist dank guter Darsteller*innen, meist intelligenter Dialoge und einer wirklich liebevoll zusammenhaltenden Schwesternschaft über weite Strecken lebensnah und unterhaltsam, verliert sich aber vor allem gen Ende in vorhersehbaren Stereotypen und Klischees. In Sachen Brutalität unterbietet der 2019er Film noch den aus heutiger Sicht eher zurückhaltenden Film von 1974, mit dem er ohnehin nicht viel zu tun hat. 

 

"Black Christmas" von 2019 ist ein gutes Dokument eines bestimmten Zeitgeistes (innerhalb der kulturellen Linken). Nicht allein deshalb, weil der Film audiovisuell eine typische Netflixproduktion der letzten Jahre sein könnte. Sondern auch, weil der „Feminismus“ hier etwas Pflichtschuldiges und Bekennerhaftes hat. Die Frauenrollen sind divers besetzt und dürfen eine gewisse Vielschichtigkeit haben, während die bösen Männer alle gleich wirken und auch optisch kaum zu unterscheiden sind. Zwei Ausnahmen fungieren als Beiwerk, love interest und alley, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film seine feministische Geschichte zu pädagogisch und anhand ideologischer Schablonen erzählt. In Sachen Horror wird auf kurzen Spannungsaufbau und jump-scare-Entladung gesetzt, was Vielseher wie mich jetzt auch nicht vom Hocker reißt, aber auch nicht schlecht gemacht ist.  

 

So bleibt interessanterweise der kleine kanadische Film Jessy – Die Treppe in den Tod aus dem Jahr 1974 der in meinen Augen progressivste der drei „Black Christmas“ Filme. Und der einzige wirklich empfehlenswerte. Wer harten Horror sucht, könnte auch am 2006er Spaß haben, und wer einen netten, woken Campus-Film mit möglichst wenig Blut sehen will, ist beim 2019er richtig.

 

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