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Train to Busan

Moralischer Film mit Zombies im Zug

Südkorea 2016     

 Regie: Yeon Sang-ho                            

 Laufzeit: 118 Minuten

 

Handlung: Der junge Fondsmanager Seok-woo arbeitet hart an seiner Karriere. Für seine kleine Tochter Su-an hat er kaum Muße. Zu ihrem Geburtstag schenkt er ihr eine Spielkonsole von Nintendo, dummerweise hat er ihr das gleiche Modell schon zum Kindertag geschenkt, der in Korea offenbar eine große Sache ist. Die Kleine will eh etwas anderes, nämlich nach Busan, um die in Scheidung lebende Mutter zu besuchen. Obwohl in seinem Unternehmen die Hütte brennt, nimmt Seok-woo anderntags mit seinem Töchterchen den titelgebenden Zug nach Busan. Dummerweise steigt eine Frau zu, die mit einem rabiaten Zombievirus infiziert ist und in Windeseile andere Passagiere beißt. Es wird eine denkwürdige Fahrt.

 

Besprechung: In Sachen Zombiefilme ist Südkorea spät zur Party gekommen, hat dann aber die Hütte gerockt. Zwar gab es schon vor Train to Busan ein paar koreanische Zombiefilme, die meisten waren jedoch Komödien und keiner fand international Beachtung. Das sollte sich 2016 ändern, denn der für nur 8 Millionen Dollar gedrehte Train to Busan kombiniert heftige Zombieattacken mit einem so frischen wie beklemmenden Zug-Setting und ernsten moralischen Fragen. Die Plage, die Menschen extrem aggressiv und saudumm macht, bricht hier in einer Gesellschaft aus, die in Hinblick auf Leistungsanspruch Japan längst überholt hat. Arbeiten und Geldverdienen sind zentrale Werte, kollidieren aber mit anderen (nicht nur) südkoreanischen Werten: Solidarität, Höflichkeit, Zurücknahme des eigenen Egos und Hinwendung zu Familie, Freunden und Gesellschaft. Seok-woo (gespielt von Gong Yoo) verkörpert diesen Konflikt als fesselnde Hauptfigur: er wirkt als opportunistischer Karrierist genauso authentisch und plausibel, wie als nachdenklicher und liebevoller Mensch. Man nimmt ihm den Ignoranten ab, aber auch den Tapferen, der bereit ist, sich für andere zu opfern. Genauso faszinierend ist seine kleine Tochter Su-an (gespielt von Kim Su-an), die auf einer Niedlichkeitsskala von 1 bis 10 an der 11 kratzt und einige wirklich herzzerreißende Szenen hinlegt. Auch die Nebenfiguren können überzeugen und sorgen dafür, dass man sich diesmal um die bedrohten Menschen wirklich sorgt. Das macht den Film spannend und fesselnd und teilweise auch hart, ohne dass er besonders blutig wäre. Die Zombies sind zwar Klasse in Szene gesetzt und drehen richtig auf, aber in Sachen drastischer Brutalität ist der Film eher zurückhaltend und setzt mehr auf Emotionen. Zum Glück greift Regisseur Yeon Sang-ho, dabei nicht zu beherzt in den Schmalztopf, aus dem sich südkoreanische Film gerne bedienen. Nur hin und wieder trüben zu offensichtliche und platte Moralbotschaften die generell interessanten sozialen Kommentare, die der Film anbietet. 

 

Leider kann ich mit der Musik in Train to Busan nicht viel anfangen. In meinen Ohren untergräbt die Mischung aus gefühligen Pianoklängen und seichtem elektronischen Gedudel hin und wieder die Atmosphäre. Auch könnte die Tonspur besser und der Film womöglich zehn Minuten kürzer sein. Dafür sind Kamera und Schnitt richtig klasse und das Ende ein doppelter Paukenschlag. Unterm Strich ist Train to Busan ein starker Film, der aufgrund seiner gut gezeichneten Figuren sogar Nicht-Zombiefilmfans gefallen könnte.

 

Trivia: Es gibt mit „Peninsula“ (2020) ein Sequel zu Train to Busan, das leider nicht so toll geworden ist. Zwar bietet der Film richtig tolle Settings und durchaus unterhaltsame Action, aber statt emotionaler Intensität bemüht sich die vom gleichen Regisseur gedrehte Fortsetzung um Coolness und Witzigkeit, und das eher vergeblich. Und als es am Ende dann emotional werden soll, wird es stattdessen nur kitschig. Wieder anders ist der Animationsfilm „Seoul Station“ (2016), der die Vorgeschichte zu Train to Busan erzählt, ohne dass die Verbindung der beiden Filme riesig wäre. "Seoul Station" kann mit harten Zombieattacken punkten, bietet aber auch einen fragwürdigen Twist und erklärt die Entstehung des Zombievirus nicht gerade befriedigend. Wer sich für K-Pop interessiert und die Augen aufhält, wird vermutlich Sohee von den berühmten „Wonder Girls“ erkennen. Sie spielt hier die Figur der jugendlichen Jin-hee.

 

IMDB: 7.6 von 10

Letterboxd-Rating: 4 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 4 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Die Zombies und Infizierten der Horrorfilme können aus unterschiedlichen Gründen Angst machen: Wir haben Angst vor Toten und Verwesung, wir haben Angst davor angegriffen, gefressen oder infiziert zu werden. Wir fürchten uns vor fremden Menschen oder großen, ungeordneten Gruppen. Durch Train to Busan ist mir noch eine zusätzliche Angst aufgefallen, die Zombies zumindest bei mir auslösen: Die Angst vor auf bestimmte Weise toten Menschen. Damit meine ich Menschen, die abgespalten sind von ihrem Selbstgefühl, von Empathie und dem Wissen, um die eigene und anderer Menschen Verletzlichkeit. 

 

Train to Busan betont in der Darstellung der Zombies (oder zombieähnlich Infizierten) diesen Aspekt: Es handelt sich um Wesen ohne Bewusstsein. Sie reagieren auf Geräusche und Licht oder Dunkelheit, folgen dem Impuls, Menschen beißen zu wollen, haben aber offensichtlich keine Vorstellung von sich selbst oder anderen, die über „hungrig“ bzw. „lecker“ hinausgeht. Sie achten auch nicht aufeinander, sondern stürzen beim Versuch, ihre Beute zu erreichen, über andere Zombies, die das Gleiche versuchen. Schmerzen spüren sie nicht, da sie offenbar nicht einmal dafür ein Bewusstsein besitzen. Sie kennen nur geist- und seelenlosen Hunger. 

 

In der Psychologie gibt es den Begriff „Dissoziation“, um das teilweise oder vollständige Auseinanderfallen des menschlichen Bewusstseinszusammenhanges zu beschreiben. Weniger hochtrabend: Manchmal steht man ziemlich neben sich. Mit „Dissoziation“ kann ein großes Spektrum an Phänomenen bezeichnet werden. Vom Angestellten, der nicht weiß, was er die letzte Stunde im Büro gemacht hat, über den Mann, der nichts fühlt, obwohl gerade seine geliebte Partnerin gestorben ist, bis zur Frau, die sich nicht an die Vergewaltigung erinnern kann, die sie als Jugendliche erlebt hat (dissoziative Amnesie). Auch Trance oder Zustände, in denen sich ein Mensch durch Geister oder Dämonen „besessen“ fühlt, können psychologisch als dissoziative Zustände bezeichnet werden. Und wer Menschen mit Smartphone in der Stadt sieht, fragt sich, wie entrückt sie gerade von ihrer räumlichen Umgebung sind.

 

Kurz: „Dissoziation“ ist ein weites Feld, das sich vom Alltäglichen bis zum komplett Psychotischen spannt. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass Wahrnehmung, Denken, Handeln und Fühlen im dissoziativen Zustand voneinander getrennt sind (der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort für „trennen“, „zertrennen“ ab). Hier soll es nun allerdings gar nicht um die verschiedenen dissoziativen Störungen gehen, die in der klinischen Psychologie unterschieden werden, sondern um das Gefühl, von Menschen umgeben zu sein, die sich nicht als Teil einer Gemeinschaft und Gesellschaft begreifen, oder einen selbst nicht dazu zählen, und die andere eigentlich nur noch als bedeutungslose Schemen ohne eigenes Leben wahrnehmen. Gerade in großen Städten kann man den Eindruck haben, für die anderen gar nicht zu existieren und allein unter Zombies zu wandeln. Die Vorstellung, dass unsere Gegenwart und im Ernstfall unser Leid andere Menschen nicht im Geringsten berührt, ist gruselig und mag etwas über die Gesellschaft um uns herum verraten, vielleicht aber auch etwas über unsere kindlichen Prägungen, die wir in die unbekannten Menschen um uns herum projizieren. Und auch wenn wir Angst davor haben, nicht als vollständige Menschen ernst genommen zu werden: Wir tun dasselbe. Kein Mensch kann bei jedem Obdachlosen, den er sieht, dessen Leid und Bedürftigkeit wirklich ernst nehmen. Kein Mensch bei jedem Schnitzel, das sie sieht, an den Leidensweg des Schweins denken. Wir tun so, als hätte das Schnitzel nichts mit einem Lebewesen und der Obdachlose nichts mit uns zu tun. Wir müssen uns von unserem Mitgefühl abspalten, um funktionsfähig zu bleiben. Ganz wohl fühlen wir uns dabei wahrscheinlich nicht, denn was ist, wenn die anderen noch härter dissoziieren als wir? Wenn wir für sie nur Objekte sind? 

 

Der Zombie ist ein Spiegel dieser Angst: Wir sehen ihn nur als Objekt, so wie er uns nur als Objekt wahrnehmen kann, ohne eigenen Wert, ohne eigene Rechte. Wann immer Menschen anderen Menschen großen Schaden zufügen, reduzieren sie das Gegenüber im Moment der Tat auf etwas, von dem sie selbst getrennt sind, eine Sache, derer man sich entledigen kann, die nicht leidensfähig ist, wie man selbst. Oder deren Leiden egal ist, weil sie "Untermenschen" sind und ihre Vernichtung einem größeren Ziel dient.  

 

Gerade läuft in den Kinos „The Zone of Interest“, eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Martin Amis. Darin wird das Leben der Familie Höß gezeigt, deren Oberhaupt der Lagerkommandant von Auschwitz ist. Die Familie lebt direkt neben dem Konzentrations- und Vernichtungslager ein scheinbar normales, ja fast schon idyllisches Familienleben. Die Kinder planschen vergnügt in einem Wasserbecken im Garten, während wenige Meter weiter andere Kinder vergast werden. Das, was so gespenstisch normal aussieht, ist tatsächlich ein komplett irrer Zustand der Dissoziation, zu dem Menschen mehrheitlich fähig sind. Aus der einen Perspektive sind die Mitglieder der Familie Höß lebendige Menschen, aus der anderen Zombies, die ohne echtes Bewusstsein für ihre Umgebung existieren. Nicht nur unverbunden zu den leidenden Menschen jenseits des Stacheldrahtes, sondern auch unverbunden mit sich selbst. Adolf Eichmann, der Cheflogistiker des Holocaust, formulierte es in „Götzen“ (seinen Aufzeichnungen im Gefängnis in Israel) so:

 

„Ich gehörte nicht zu der rohesten Gruppe, deren innere und äußere Einstellung gleich blieb. Ich zählte zu jenen, die äußerlich gehorchten, nichts taten, was sie mit ihrem geleisteten Eid in Konflikt brachte, ehrlich und aufrichtig dienten und ihre befohlene Pflicht erfüllten. Durch die innere Einstellung jedoch kam es zu einer Art Persönlichkeitsspaltung; ein Zustand, der hinderte. Ein Zustand, der jeden Schwung und jeden Elan töten musste. Ein Zustand, unter dem der einzelne mehr litt als er jemals zugeben wollte oder zugab. Und er betäubte sich selbst, durch ›Pflicht‹ und ›Eid‹ und ›Treue‹ und ›Ehre‹.“

 

Fühlen, Denken, Wahrnehmen und Wollen miteinander in Einklang zu bringen und zu halten, ist eine der zentralen Aufgaben, wenn es um psychische Gesundheit auf individueller und gesellschaftlicher Ebene geht. Nur weil jemand „funktioniert“ und nicht leidet, heißt das noch lange nicht, dass er im vollumfänglichen Sinne gesund und heil (also ganz) ist. Das Abgespalten- und Unverbundensein kann auf gespenstische Weise gefühllos machen. Und die Angst vor Zombies nur zu real begründet.

 

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