Die Renaissance des Zombiefilms
• Vereinigtes Königreich 2002
• Regie: Danny Boyle
• Laufzeit: 113 Minuten
Handlung: 28 Tage nachdem Tierschutzaktivist*innen Affen aus einem Versuchslabor befreit haben, wacht der Fahrradkurier Jim in einem Krankenhaus auf und muss feststellen, dass er allein ist. Verwirrt wandert er durch die Flure, die aussehen, als hätte hier ein Aufstand stattgefunden. Auf den Straßen Londons das gleiche Bild: keine Menschen, viel Zerstörung. Es dauert eine Weile, bis Jim herausfindet, was passiert ist. Zusammen mit anderen Überlebenden versucht er einen sicheren Ort zu finden.
Besprechung: Ende der 1990er, Anfang der 2000er war es um Zombies im Horrorkino ziemlich still geworden. Die schlurfenden Untoten dienten noch als Stoff für Komödien oder billige Direct-to-Video-Filmchen, ihren Zenit hatten sie aber offenbar überschritten. Dann kamen Danny Boyle (Regie) und Alex Garland (Drehbuch) mit „28 Days Later“ und belebten das Subgenre neu. Streng genommen sind es keine Zombies, die hier unter anderem London unsicher machen, sondern Infizierte. Statt sich untot durch die Stadt zu schleppen, rasen diese Virusverseuchten wie vom wilden Affen gebissen und werden so Pioniere einer „Zombie“-Variante, wie sie danach zum Beispiel im Dawn of the Dead-Remake, in „Train to Busan" oder in „The Sadness„ vorkommt. Auch in Serien wie „The Walking Dead“ oder „The Last of Us“ rennen die „Zombies“ anstatt zu schlurfen und reagieren so auf die Beschleunigung unserer Zeit, veränderte Sehgewohnheiten und neue Ängste. Während die Menschen in den 1960ern, 1970ern und 1980ern vor allem Angst vor Atomwaffen und Radioaktivität hatten, fürchten sie sich heute mehr vor Seuchen und Viren.
Rundum neu ist das allerdings nicht. Schon 1973 zeigte George A. Romero („Night of the Living Dead“, „Dawn of the Dead“) mit „Crazies“ Menschen, die durch ein Bakterium rasend gewalttätig werden. Dennoch: 28 Days Later begründete einen Trend und brachte die Zombies in neuer Gestalt zurück. Das hat sicher auch damit zu tun, dass 28 Days Later einfach ein guter Film ist: das entvölkerte London, das Darstellerensemble, die nachvollziehbaren menschlichen Emotionen, die eigenwillige E-Gitarrenmusik, der spezielle Look der mit einer Canon XL1 Digitalkamera geschossenen Szenen und natürlich die „Zombies“ selbst beeindrucken bis heute. Die leichten Black Mirror Vibes sind ebenso charmant wie eine nicht zu sehr Hollywood-Konventionen verpflichtete Inszenierung. Vor allem aber ist der Film spannend, unheimlich, grausig und finster.
Der Kulturwissenschaftler Diedrich Dietrichsen unterstellte dem Film wortgewaltig, er sei eine „marktliberale“ Verherrlichung des Kampfes aller gegen alle „im ewigen Gemetzel einer zur Barbarei befreiten Konkurrenzlogik“. Ich denke, wie so oft wird hier der Überbringer der schlechten Nachricht bestraft. Der Film verherrlicht nicht, sondern bildet ein Lebensgefühl ab, dass in den marktliberalen 2000ern stärker um sich griff und Ängste erzeugte. Dass im letzten Drittel das Militär einen halbwegs sicheren Hafen auf Zeit anbietet, ist eine unangenehme Pointe des Films: Wenn die Gewalt entfesselt ist, findet man nur Schutz bei Gewaltexperten, die man am liebsten abgeschafft hätte. Wie aktuell diese finstere Einsicht ist, zeigt ein Blick in die Ukraine.
Trivia: Um sehr belebte Londoner Plätze wie Oxford Street, Piccadilly Circus oder Westminster Bridge als entvölkert darzustellen, sperrte die Filmcrew früh am Sonntagmorgen die entsprechenden Locations und durfte dort ab Sonnenaufgang etwa 45 Minuten drehen. Für die Zombiedarsteller*innen griff Boyle auf Athlet*innen zurück, um die Motorik der Rasenden besonders eindrucksvoll zu inszenieren.
Horror-Legende Stephen King kaufte übrigens sämtliche 800 Tickets für eine Kinovorführung des Films in New York City. Damit wollte er den in seinen Augen großartigen Film unterstützen, der ursprünglich in England eher wenig gute Presse bekommen hatte, in den USA aber schließlich ein großer Erfolg wurde.
IMDB: 7.5 von 10
Letterboxd-Rating: 3.8 von 5
Neft-Rating: 4.5 von 5
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Steffelowski (Donnerstag, 14 März 2024 12:36)
Viel ernsthafter, bedrückender und viel mehr Horrorfilm als das „Dawn..“-Remake. Für mich ist „28 Days“ der klar bessere Film. Zumindest funktioniert er als schmutziger, brutaler Horrorfilm besser, wo hingegen „Dawn..“ den größeren Mainstream-Unterhaltungswert hat. Aber das ist ja per se auch nicht verwerflich.
Anselm (Donnerstag, 14 März 2024 14:18)
Ja, sehe ich auch so. Morgen bespreche ich Train to Busan und bin gespannt, wie du den findest.