· 

Der Fluch von Siniestro

Ein unterschätztes Werwolf-Juwel

Großbritannien 1961      

 Regie: Terence Fisher                            

 Laufzeit:  93 Minuten

 

Handlung: Spanien im 18. Jahrhundert. Ein kinderloses Paar nimmt eine halbtote, schwangere Frau bei sich auf. Die Geburt des Kindes fällt auf den 25. Dezember, was im katholischen Spanien als böses Omen gilt, weil niemand dem Heiland seinen Geburtstag streitig machen soll. Schlimmer noch: Die stumme Fremde stirbt bei der Geburt des Kindes. Das freundliche Paar nimmt den Neugeborenen an Sohnes statt an, tauft ihn auf den Namen Leon und ahnt noch nicht, was es mit ihm auf sich hat.

 

Besprechung: Für die legendären britischen Hammer-Studios hatte Terence Fisher bereits einige bekannte Monster der alten Universal-Hollywood-Filme zurück auf die Leinwand geholt: Nach Frankensteins Fluch (1957), Dracula (1958), Die Rache der Pharaonen (1959) und der Dr. Jeckyll und Mr. Hyde Adaption Schlag 12 in London (1960) kam dann im Jahr 1961 auch endlich der Werwolf zu seinem Recht. Fisher und Drehbuchautor Arthur Hinds gaben sich viel Mühe, dem Stoff etwas Neues abzugewinnen und griffen zur Inspiration auf den Roman „Der Werwolf von Paris“ von Guy Endore aus dem Jahr 1933 zurück.

 

Die Inszenierung besticht durch schöne Farben, atmosphärische Kulissen und eine ansprechende Ausstattung. Oliver Reed als junger Mann, der unter einem Fluch leidet, für den er selbst nichts kann, ist genau die richtige Besetzung. Wie Nicholson in Wolf, verkörpert er das Animalische bereits als Mensch, aber anders als Nicholson nicht in einer selbstbewussten und abgebrühten Weise, sondern unschuldig, sensibel und verletzlich. Das wird auch durch den starken Kinderdarsteller betont, der den kleinen Leon spielt. Der Film erzählt seine Geschichte ernst und ironiefrei, was bei Werwolffilmen schon in den 1960ern nicht unriskant gewesen ist, meiner Ansicht nach hier aber wirklich gut funktioniert. Zumindest dann, wenn man bereit ist, sich auf eine Geschichte einzulassen, die durch das Setting eines historischen Spaniens sowohl glaubwürdiger als auch parabelhafter erscheint. Zum märchenhaften Ton trägt auch die Erzählerstimme bei, und wir beginnen zu ahnen, dass in der Werwolflegende eine tieferliegende Wahrheit verhandelt wird. Auf diese will ich in Hopsys Gedanken eingehen und komme dabei um Spoiler nicht herum.

 

Das Werwolf-Design halte ich bis heute für eines der Besten. Mir sind einfach Werwölfe in humanoider Gestalt lieber als die vierbeinigen Varianten und die kahl wirkenden CGI-Lykanthropen, wie sie zum Beispiel in „Underworld“ herumspringen. Die Verwandlungsszene ist (für damalife Verhältnisse) großartig, es gibt einen kurzen Blick des halbverwandelten Werwesens über seine Schulter, die ich bis heute unheimlich finde.

 

Der Film hat auch Schwächen. So kommt die Liebesgeschichte zwischen dem verfluchten Jungmann und der so sympathischen wie tatkräftigen Cristina quasi aus dem Nichts und hätte etwas mehr Zeit auf dem Bildschirm benötigt. Auch sind die Geräusche, die der Werwolf macht, eher drollig als furchteinflößend, und schließlich muss man einen ziemlich präsenten 1960er Score ertragen können, der es in meinen Ohren mit der Dramatik ein bisschen übertreibt.

 

Davon abgesehen bekommt man als Freund des Genres mit „Der Fluch von Siniestro“ einer der schönsten, ernsten Werwolffilme.

 

Trivia: Die Werwolfrolle war Oliver Reeds erste Hauptrolle in einem Film. Vorher tauchte er nur als Nachtclub-Rausschmeißer in Schlag 12 in London und als Lord Melton in „Das Schwert des Robin Hood“ auf. Seine letzte Rolle hatte er als Sklavenhalter Proximo in „Gladiator“. Da Reed während der Dreharbeiten an einem Herzinfarkt starb, mussten verbleibende Szenen auf Computeranimationen anhand von bereits bestehendem Filmmaterial zurückgreifen. Reed war berüchtigt für seine Alkoholexzesse und seinen Machismo alter Schule. Zu seinen Skandalen zählte ein betrunkener Auftritt in der Talk Show „After Dark“, in der er die Feministin Kate Millet ungefragt begrabschte und küsste und aus dem Studio geschmissen wurde.

 

Der Film sollte ursprünglich nicht in Spanien spielen, aber musste von Drehbuchautor Hinds in diese Richtung umgeschrieben werden, weil die Ausstattung bereits für einen Film über die spanische Inquisition angefertigt worden war. Dieser Film konnte aber nicht gedreht werden, weil die Catholic League of Decency mit einem Bann drohte.

 

IMDB: 6.6 von 10

Letterboxd-Rating: 3.2 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 4 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

(Achtung Spoiler!)

 

Kein anderer mir bekannte Werwolffilm erzählt eine so ausführliche Hintergrundgeschichte. „Der Fluch von Siniestro“ ist tatsächlich nicht nur ein auf Unterhaltung ausgerichtetes B-Movie, sondern auch eine Reflexion über die Entstehung typischer männlicher Devianz aka toxische Männlichkeit. Die Geschichte beginnt lange vor der Geburt von Leon, dem künftigen Werwolf. Ein Bettler kommt an den Hof des Marqués Siniestro und wird dort von dem sadistischen Machthaber unter dem Gelächter der feinen Gesellschaft verhöhnt, betrunken gemacht und schließlich lebenslang in einen Kerker geworfen, wo er komplett vertiert. Allein diese Eröffnungssequenz macht den Film sehenswert und ist tatsächlich noch grausamer, als vergleichbare Szenen aus Satanas -- Das Schloss der blutigen Bestie. Der verwahrloste Gefangene hat nur eine Freundin: ein stummes Mädchen, das ihn voller Mitgefühl und Zutrauen behandelt und ihm Essen bringt. Als dieses Mädchen zu einer schönen, aber (natürlich) immer noch stummen Frau heranwächst, versucht der mittlerweile alte, krankheitsgebeugte und vereinsamte Marqués, sie zu vergewaltigen. Die Magd kann sich aber wehren und wird zur Strafe zu dem vertierten Bettler ins Verließ geworfen. Fürchterlicherweise ist der Gefangene längst jenseits aller Empathie und Moral und vergewaltigt die Frau, die von Kindesbein zu ihm gehalten hat. Anschließend kann sie flüchten, wird in der Wildnis gefunden und bekommt bei einem kinderlosen Ehepaar am 25. Dezember ihren Sohn Leon.

 

Der Werwolf ist also das Kind eines Vergewaltigers und einer Frau ohne Stimme. Und beide Elternteile sindihrerseits Opfer der Verhältnisse, die hier klar als Klassenverhältnisse gezeigt werden. Die Klassenunterschiede sind gewalttätig, weil die höhere Klasse die niedere missbrauchen kann, ohne sich dafür (allzusehr) rechtfertigen oder mit (allzu hohen) Strafen rechnen zu müssen. Mit den Klassenverhältnissen verzahnt sind die patriarchalen Verhältnisse: An der Spitze stehen Männer und ihre Gier nach Besitz und Kontrolle, die sie auch recht erfolgreich zu den wichtigsten Werten der Gesellschaft ausrufen. Opfer dieser Verhältnisse sind sowohl Frauen als auch Männer, wobei die unterdrückten Männer, sich immer noch an den Frauen vergehen können.

 

Das also ist das Erbe des kleinen Leon, der ein süßes, sensibles und weichherziges Kind ist, das bei seinen liebevollen Zieheltern gut aufwächst. Wie so viele Jungen könnte er genauso gut ein Mädchen sein (so wie Mädchen Jungen sein könnten). Einmal wird er mit auf die Jagd genommen und kann nicht ertragen, dass auf andere Lebewesen geschossen wird. Als dann ein Eichhörnchen getötet wird, ist er schockiert, tippt es an und trinkt plötzlich gierig von seinem Blut. Man könnte sagen: Die Jagd hat in dem sensiblen Kind, den blutdürstigen Mann getriggert. Fortan hat der kleine Leon Alpträume und verwandelt sich in den Nächten in eine reißende Bestie. Die sehr liebevoll gezeichneten Eltern und ein kluger Priester begreifen recht schnell, was los ist, was den Film zusätzlich sympathisch macht. Der Priester weiß: Gegen den Fluch hilft nur eins: Liebe. Die liebevolle Zuwendung der Zieheltern verhindert tatsächlich, dass sich Leon weiterhin verwandelt. So kann er als junger Mann recht guter Dinge in die Welt hinausziehen.

 

Dort aber warten die nächsten Trigger, und zwar wieder in Form von Klassenunterschieden und patriarchalen Verhältnissen. Die Frau, in die er sich verliebt, ist gegen ihren eigenen Willen durch den Vater einem Mann von besserem Stand versprochen. Es ist schon erstaunlich, wie Terence Fisher 1961 die Verzahnung von feudaler, protokapitalistischer Ökonomie und Patriarchat auf den Punkt bringt. Der Werwolf – gleichzeitig Opfer der Verhältnisse und Täter innerhalb derselben – bricht sich in Leon wieder Bahn, und das Einzige, was Leon vom Saufen, Fremdgehen und Morden abhalten kann, ist die Liebe (einer Frau). Hier kann man natürlich fragen, ob das nicht ein fürchterlich altmodischer Gedanke ist, der der Frau die Care-Arbeit für einen erwachsenen Mann aufbürdet, der abhängiger ist von ihr als sie von ihm. Denn Frauen verwandeln sich offensichtlich ohne männlichen Beistand nicht in reißende Bestien. Und Männer – die Erfahrung lehrt es – leider auch oft trotz der Liebe ihrer Frau. Wie auch immer: Die Geschichte geht nicht gut aus. Und das haben wir schon ganz am Anfang geahnt, als die weinenden Augen des Werwolfs eingeblendet werden. Der monströse Mann, der um seine Verfluchung weiß.

 

Wie „Der Fluch von Siniestro“ Klassenverhältnisse, patriarchale Rollenbilder und die Traumata der Eltern zur Grundlage des Werwolffluchs macht, gehört zu den großen Momenten im Lykanthropen-Kino und dürfte auch heute noch in manchem Gender-Seminar für interessante Diskussionen sorgen.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Steffelowski (Freitag, 09 Februar 2024 12:44)

    Soweit ich weiß, hat sich Hammer danach nie wieder mit der Werwolf Thematik befasst. Irgendwie schade.

  • #2

    Anselm (Freitag, 09 Februar 2024 15:42)

    Ich kenne auch keinen Film von Hammer davor oder danach. Und finde es auch schade.