· 

Wolfen

Ungewöhnlicher Horrorthriller über die Wiederkehr des Verdrängten

 USA 1981       

 Regie: Michael Wadleigh                             

 Laufzeit: 115 Minuten

 

Handlung: In einem Park in New York werden drei verstümmelte Leichen gefunden: Der millionenschwere Erbe und Immobilienspekulant van der Veer, nebst frisch vermählter Frau und Leibwächter. Die Polizei vermutet linksradikale Terroristen und setzt den kauzigen Cop Dewey Wilson zusammen mit der auf Terrorismus spezialisierten Kriminologin Rebecca Neff auf den Fall an. Der nimmt jedoch ein paar haarige Abzweigungen, die Wilson und Neff zu im Hochbau beschäftigten Ureinwohnern, einer Kirchenruine in der halb abgerissenen Süd-Bronx und ein paar aus dem Dunkel glühenden Augen führen.

 

Besprechung: Keine Kritik ist objektiv. Diese hier unternimmt noch nicht einmal den Versuch es zu sein, oder so zu scheinen, denn Wolfen ist eine große Jugendliebe von mir. Anders gesagt: Ich wurde zwar irgendwie schon von meinen Eltern aufgezogen, aber auch von Wolfen. Zum ersten Mal gesehen habe ich den Film mit dreizehn Jahren in einem Landschulheim, und zwar, weil ich in der "Prisma" davon gelesen hatte und mich bereits der Titel komplett in den Irrsinn trieb. Ich überredete andere Pubertierende, nachts mit mir in den TV-Raum zu gehen. Dort saßen wir aufgeregt, flüsternd und guckten diesen Film, der mich ab der ersten Minute komplett am Wickel hatte. Die etwa 10 Minuten lange Eröffnungssequenz ließ mir bereits den Mund offenstehen. Reiche Menschen, die Drogen schnupfen, eine Point-of-View-Infrarot-Kamera, die sonderbar durch die Nacht schleicht, ein im Wind knarzendes Kinderkarussell in einem nächtlichen Park und dann gleich ein Dreifachmord? Und dann taucht dieser unfassbar coole Cop (Albert Finney) auf und futtert erst einmal Donuts beim Leichenbeschauer, der gerade extrem realistisch an Toten rumhantiert. Als sich schließlich auch noch ein amerikanischer Ureinwohner (Edward James Olmos) anschickt, nachts nackt am Hudsonriver zum Wolfsmenschen zu transformieren, war es mit meiner Contenance vorbei. Ich sei müde, erklärte ich den Mitguckern, der Film werde langsam öde. Der Rückweg bis zum Zimmer war eine Zumutung, aber auch ein unvergesslicher Trip. Und als mir anderntags die weniger furchtsamen Bengel erzählten, ich hätte auf keinen Fall gehen dürfen, der Film sei noch richtig, richtig gut geworden, da wusste ich: So bald wie möglich muss ich den ganzen Wolfen sehen.

 

Es dauerte zwei Jahre, bis Wolfen wieder im Fernsehen lief. In nächtlicher Heimlichkeit bugsierte ich den Fernsehapparat aus dem Wohnzimmer meines Elternhauses in das stillgelegte Zimmer meines bereits ausgezogenen Bruders, um dort unbemerkt von meinen Eltern den vorhandenen Antennenanschluss zu nutzen. Punkt 23.05 Uhr begann Wolfen, und ich konnte den Film in voller Länge sehen. Und war wieder baff, diesmal aber mehr euphorisiert als erschrocken. Natürlich war ich Team Wolf, Team Natur, Team Ureinwohner. Weg mit dem dekadenten Rotz der modernen Großstädte mit ihren vereinsamten Fastfoodjunkies!

 

Jetzt habe ich Wolfen vor vier Tagen noch einmal gesehen und war wieder begeistert. Hat beim Schauen mein innerer Jugendlicher die Kontrolle übernommen? Um nicht völlig kritiklos zu wirken, fange ich mit den Schwächen an, die mir aufgefallen sind. Zum einen ist die Chemie zwischen Cop Dewey und Kriminologin Rebecca eher schwach. Dass die beiden miteinander im Bett landen müssen, ist so überflüssig wie unstimmig. Gut gefallen hat mir allerdings, als sie bei ihm im Büro sitzt und an der Wand eine Plakette entdeckt: „God, Guns and Guts made America – let’s keep all three!“. Die studierte Frau lupft die Augenbrauen und fragt den ziemlich in sich verbackenen Cop: „Warum sind Sie Polizist geworden?“ Er durchschaut den Zusammenhang zum Plakettenblick und sagt: „Weil ich gerne Menschen umbringe.“

 

Einen weiteren Schwachpunkt mag man heutzutage in der Erzählweise sehen, die noch aus dem 1970er Hollywoodkino stammt, und die sich zum einen Zeit lässt, und zum anderen nicht auf sich stetig steigernde Spannung, sondern auf eine eher zwischen einzelnen Höhepunkten mäandernde Handlung setzt. Zwar wird im Film immer etwas geboten, aber man merkt auch, dass er die nicht ganz konsequent durchgeführte Straffung der Romanvorlage „The Wolfen“ von Whitley Strieber ist. Als letzten Kritikpunkt würde ich heute die Moral von der Geschichte betrachten, aber das gehört in den Spoilerbereich und damit zu „Hopsys Gedanken“.

 

Kommen wir zum Guten: Die Filmmusik von Kopositionshexenmeister James Horner ist massiv und trägt stark zur Stimmung bei. Die Settings sind toll, vor allem die Kirchenruine in einer völlig zerbombt aussehenden Bronx ist der Knaller. Die Kameraarbeit von Gerry Fisher ist weit über dem damaligen (und heutigen) Durchschnitt. Szenen wie die mit den Native Americans muss man in der Form lange suchen, und das nicht nur in Filmen aus den 1980ern. Und auch das Setting beim Leichenbeschauer hat den Test der Zeit bestens überstanden. Der Film hat eine gute Balance zwischen Spannung, Unterhaltung und dem Anspruch, ein wenig zu inspirieren, und obendrein sind die Szenen mit den „Wolfen“ einfach zum Niederknien. Bis heute. 

 

Trivia: Regisseur Michael Wadleigh drehte nur einen einzigen Horrorfilm, nämlich Wolfen. Seine anderen Werke haben fast alle „Woodstock“ im Titel: „Woodstock“ (1970), „Woodstock – The Lost Performances“ (1990), „Woodstock – Director’s Cut“ (1994) und „Jimi Hendrix: Live at Woodstock“ (1999). An den Kinokassen floppte der düstere Wolfen-Film, aber auf Video wurde er zum Geheimtipp und wird bis heute in Kennerkreisen gerne gezeigt, wie zum Beispiel auf dem ersten lykanthropischen Filmfestival in Nürnberg, wie mir ein Horrorfuchs erzählte. Der Score von James Horner ist übrigens noch beeindruckender, wenn man weiß, dass er gerade mal zwölf Tage Zeit hatte, um ihn zu komponieren und aufzunehmen, weil er kurzfristig den eigentlich vorgesehenen Craig Safan ersetzte. Verrückter noch: An der Rolle des Dewey Wilson hatte der damals schon sehr populäre Dustin Hoffman großes Interesse, aber Regisseur Wadley wollte unbedingt Albert Finney. Das war das einzige Mal, das eine Filmproduktion Dustin Hoffman abwies. Und es war die richtige Entscheidung.

 

IMDB: 6.3 von 10

Letterboxd-Rating: 3.2 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 5 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

(Achtung Spoiler!)

 

Die weißen Einwanderer (m/w/d) haben den amerikanischen Kontinent zu ihrem Besitz gemacht. Die Ureinwohner haben sie Reservate verbannt und zu Bürger*innen zweiter Klasse erklärt, vor denen man ebenso wenig Respekt haben muss wie vor ihrer Lebensweise und dem Land, dem sie sich verbunden fühlten. Fast alle Wölfe wurden erschossen, das Gleiche gilt für die Büffel. Eine Kultur des Beherrschens, des Wachstums und der Ausbeutung hat die früheren Kulturen verdrängt, in denen zyklisches Denken, Kooperation zwischen Mensch und Umwelt und Respekt vor allem Lebendigen eine Rolle spielten. Da wundert es nicht, dass Ende der 1970er ein US-amerikanischer Horrorautor ein Buch schreibt, dass nicht nur diese Gewaltgeschichte zur Grundlage hat, sondern auch der scheinbar verdrängten und zerstörten alten Wildnis in Form eines 20.000 Jahre alten Wolfskultes zur Wiederauferstehung verhilft. Die Wolfen – eine Art Superwölfe, die sich unsichtbar machen können, und in den Ruinen der Großstädte leben – kennen laut den Ureinwohnern keine Lüge, kein Verbrechen, sie sind womöglich eher Götter als Tiere und aus ihrer Sicht sind die Menschen die Barbaren. 

 

Diese Sichtweise hat mir als Teenager so aus der Seele gesprochen, dass ich sofort in den nächsten Wolfen-Kult eingetreten wäre, wenn in unserem Beamtendorf die Möglichkeit dazu bestanden hätte. Heute denke ich allerdings: Obacht! Auch wenn es toll ist, dass der Film den Respekt vor anderen Kulturen, Mentalitäten und Lebensformen thematisiert und sogar fühlbar macht, so können die Wolfen am Ende doch nur weiterleben, weil das kranke System mit seinen Obdachlosen, Junkies und verwahrlosten Herumtreibern bestehen bleibt. Denn diese Menschen sind ihre hauptsächliche Beute. Ja, sie töten auch den reichen Immobilienspekulanten, allerdings nur deshalb, weil er die Süd-Bronx gentrifizieren und mit einem großen Bebauungsplan für wohlhabendere Menschen erschließen will. Und dann wären die Jagdgründe der Wolfen dort Geschichte und sie müssten sich neue suchen. So wohnt dem Film weniger etwas Utopisches als etwas Reaktionäres oder zumindest Zwiespältiges oder vielleicht Tragisches inne: Das scheinbar ausgemerzte Wilde, kann genau da weiter leben, wo das neue System besonders krank und dysfunktional ist: In den gescheiterten Vierteln, den Slums, den Straßenzügen voller Menschen, die kaum jemand vermisst und nach denen die Polizei nicht lange sucht. Eine tolle, lebenswerte, faire Stadt für alle wäre das Ende der Wolfen. 

 

Dazu kommt, dass den Wolfen eine moderne menschliche Moral fremd ist. Sie müssen töten, um zu leben. Und sie töten sogar den freundlichen Biologen, der sie liebt und studiert, vermutlich weil sie fürchten, er könne sie verraten (oder weil sie durch sein Bürofenster eine Doku über das Töten von Wölfen sehen und glauben, er sei auch so einer). Der Wunsch nach dem Wilden, dem Anderen, dem Archaischen ist verständlich, aber man muss sich fragen, welcher Preis mit der Rückkehr des Wilden verbunden ist. Und Verständnis dafür haben, dass es gute Gründe gab, warum Menschen immer wieder versucht haben, das Raubtierhafte der Welt zu zähmen oder zu vernichten. Eine Tragik unserer Existenz an die Wolfen erinnern kann.    

Kommentar schreiben

Kommentare: 0