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The Witch

 Ungemütlich realitätsnaher Film über Hexenwahn

 Kanada, USA 2015        

 Regie: Robert Eggers                             

 Laufzeit: 92 Minuten

 

Handlung: Neuengland um 1630: kein Glyphosat im Boden, alles ist „bio“ und die Menschen sind noch nicht so materialistisch und wissenschaftsgläubig! Richtig glücklich wirken sie trotzdem nicht. Das Leben ist einfach härter als auf dem anthroposophischen Biobauernhof unserer Tage. Und wenn sich 2020 manche Judensterne ankleben, weil sie mal ein paar Monate lang im bestens bestückten Supermarkt eine Maske tragen sollen, dann wundert es nicht, dass der gesunde Menschenverstand damals im Bermudadreieck von Elend (Ausschluss aus der Gemeinde, Angst zu verhungern, Verlust eines Kindes), Wildnisnähe und strenger puritanischer Religion versinken konnte. 

 

Besprechung: Eigentlich erzählt dieser hochgelobte, kunstvoll gemachte Film nichts Neues. Wir wissen, dass strenge Religiosität samt sexueller Unterdrückung, Dämonen heraufbeschwört. Die Stärke von „The Witch“ ist, dass die anfangs achtköpfige Familie, um die es hier geht, nicht unsympathisch und doof dargestellt wird. Wir erleben die Welt aus ihren Augen und stellen uns nicht über diese arg gebeutelten Leute. Das bedeutet aber auch, dass wir keine rationalen Erklärungen für das Geschehen präsentiert bekommen. Gute Darsteller*innen – darunter neben Ralph Ineson und Katie Dickie (u.a. "Raven’s Hollow)" auch Anya Taylor-Joy, die unter anderem auch in Das Geheimnis von Marrowbone und „The Menu“ überzeugen konnte – dazu ein starker, von Barockstücken und dissonanter „Neuer Musik“ inspirierter Score und einige wenige wirklich alptraumhafte Bilder machen diesen Film zu einem sehenswerten Historiendrama, das neben Furcht vor allem Mitleid auslöst.

 

„The Witch“ verlangt dem Publikum allerdings Geduld ab, und die Fähigkeit beziehungsweise den Willen, sich in Menschen einzufühlen, die in einer anderen Zeit und (Vorstellungs-)Welt leben. Auf bekannte Horror-Tropes wird ebenso verzichtet wie auf eine unterhaltsame Hollywood-Dreiakte-Struktur, in der wir klare Identifikationsfiguren angeboten und die Emotionen vorgekaut bekommen. Das macht diesen Film natürlich nicht schlechter, aber anstrengender, zumal er keine „schöne“ Geschichte erzählt, sondern eine bedrückende. 

 

Gleich mit seinem ersten Langfilm konnte sich der 1973 in New York City geborene Regisseur Robert Eggers als neue Hoffnung eines anspruchsvollen Horrorkinos empfehlen. „The Witch“ wurde auf dem Sundance Film Festival 2015 uraufgeführt und gewann den Preis für die beste Regie. Die Auszeichnung wurde unter anderem mit der Detailverliebtheit des Films begründet. Eggers hat bei der Entwicklung des Stoffes mit Historiker*innen zusammengearbeitet und Prozessakten und Texte aus der damaligen Zeit verwendet, darunter den puritanischen Devotionalienführer „The Practice of Piety“, aus dem fast alle Gebete im Film stammen. Auch über die damalige Landwirtschaft informierten sich Eggers und seine Crew eingehender, um ein authentisches Bild der Verhältnisse zeichnen zu können. 

 

Neben dem Versuch, sich an die historischen Gegebenheiten anzunähern, lebt der in nur 25 Tagen gedrehte Film aber auch von einer psychologischen Spannung, die in den Figuren und ihren unterdrückten Bedürfnissen angelegt ist und obendrein durch die Stilmittel des Films transportiert wird, wie zum Beispiel durch die hauptsächlich mit natürlichem Licht arbeitende Schwarz-Weiß-Fotografie, den Chorgesang des „The Element Choir“ aus Toronto oder dem motivisch durch den Film führenden Ziegenbock, der seine Rolle vom lebensnotwendigen Gebrauchsgegenstand zum satanischen Einflüsterer und dämonischen Aggressor wandelt. Ob man die Geschehnisse dabei als real oder psychotisch begreift, überlässt der Film den Zuschauer*innen, und wirkt auf mich dabei so, als sei das gar keine besonders wichtige Frage. Grauenhaft ist das Geschehen so oder so, und wir ahnen, dass wir uns auch in unserem angeblich aufgeklärten Zeitalter nicht zu sicher sein sollten, dass die Höllenwesen unser Denken nicht doch wieder beherrschen können. Es fehlt manchmal nur ein kleines bisschen mehr Leid und Einsamkeit, um den Schleier zur Hexenwelt niederzureißen.

 

Kurz: Für diejenigen, die sich darauf einlassen, ist „The Witch“ ein heftig wirkender Film, den man sicher verehren aber nicht oft sehen wird.

 

IMDB: 6.5 von 10

Letterboxd-Rating: 3.8 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 4.5 von 5 

 

 

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