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Near Dark (Mit Audio)

Origineller Film über Outlaw-Vampire

 USA 1987        

 Regie: Kathryn Bigelow                             

 Laufzeit: 94 Minuten

 

Handlung: Ein junger fescher Cowboy namens Caleb macht sich an eine junge Frau namens Mae ran, die am späten Abend Eis essend am Straßenrand eines Provinzstädtchens steht. Seine Hartnäckigkeit macht sich bezahlt und die beiden kommen sich näher. Dadurch ändert sich Calebs Leben allerdings fundamental, dann Mae gehört zum Volk der Nacht.

 

Besprechung: Was bei The Lost Boys aus dem gleichen Jahr eine leichtfüßige Mainstream-Anmutung hat, präsentiert sich hier als melancholischer bis deprimierender Independent-Film mit Anspruch: die Zerrissenheit zwischen friedlicher Normalität und einem wilden Leben als Outlaw. „Doch alle Lust will Ewigkeit“, notierte Nietzsche einmal nach einem seiner Migräneanfälle in seinen „Zarathustra“, und die Vampire locken mit diesem Versprechen von einer Erotik, die immer dringlich bleibt, einer Romantik, die nie vergeht und einem Leben, das nicht wie bei anderen Geschöpfen mit einem natürlichen Tod endet. Als so toll stellt sich dieses „Leben“ dann allerdings nicht heraus. Zumindest nicht für Caleb, der zwar in Mae verliebt ist, aber niemanden töten will, um seine Begierde zu befriedigen. Der Rest vom Clan sieht das mit Argwohn und hat offenbar Freude am Blutvergießen, der eigenen Machtfülle und dem unsteten Leben on the road. Dieses Dasein gleicht allerdings einer permanenten Flucht vor Verdacht schöpfenden Menschen, Cops und vor allem: dem Sonnenlicht. 

 

Kathryn Bigelow inszeniert diesen Stoff als stimmige Mischung aus Drama, Vampirfilm, Road-Movie, Gangsterfilm und Western und setzt dabei auf atmosphärische Lichtstimmungen, einige ambitionierte Shots und einen Synthesizer-Teppich der deutschen Band Tangerine Dream. Die Ambient-Musik dieser Pioniere der elektronischen Musik ist oft toll, manchmal aber auch für meinen Geschmack etwas zu aufdringlich vor sich hinwabernd. Und das umreißt meinen Gesamteindruck von dem Film ziemlich gut. Die Qualität der Bilder und des Schauspiels wird von der Figurenzeichnung nicht erreicht. So bleibt für mich die Liebe zwischen Caleb und Mae blass wie ein Vampirgesicht im Vollmondschein. Und ich finde es auch nicht gerade sympathisch, dass der eigentlich friedliche Caleb am Anfang versucht Mae zu einem Kuss zu nötigen. Richtig anstrengend finde ich die übrigen Vampire, die sich aufführen wie ein Haufen psychopathischer Kleinkrimineller. Das hat in meinen Augen zwar durchaus Energie und stellenweise Charme, aber ich finde es schon deprimierend, wenn Menschen als Vampire Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte leben, ohne irgendetwas Wesentliches wie Mitgefühl, Anstand oder wenigstens guten Geschmack zu lernen. Aus „vom Tellerwäscher zum Millionär“ wird so „von der Arbeiterklasse der Südstaaten zum white trash mit Fangzähnen“. Es ist deprimierend!

 

Der Film hat nicht nur einen eigenen Stil, sondern auch eine gewisse Tiefe. Er gibt inhaltlich wie handwerklich Manches her, worüber sich im Filmseminar gut diskutieren lässt, wie zum Beispiel Homer, einen längst erwachsenen Vampir im Körper eines Jungen, der sich nach einer Freundin sehnt. Aber ich bin mit den Blutsaugern hier beim Neugucken nicht (mehr) ganz warm geworden. Was ich allerdings nach wie vor anerkenne, ist, dass das ein höchst eigenständiger und interessanter Vampirfilm ist, den man als Freundin des Genres gesehen haben sollte.

 

Trivia: Der Film hat 5 Millionen Dollar gekostet, die sehr gut genutzt wurden. An den Kinokassen eingespielt hat er trotz guter Kritiken nur 3 Millionen. Später als Video ging der Film aber wie geschnitten Brot und hat längst eine treue Anhängerschaft, die Near Dark zum Kultfilm erklärt. Gerade die seltsam statische, antiklimatische inszenierte Gewaltorgie in der Barszene zu „Fever“ von The Cramps lässt die Herzen vieler Fans höher schlagen.

 

Drei der Darsteller*innen (Lance Henriksen, Jennette Goldstein und Bill Paxton), die hier Vampire mimen, spielten ein Jahr vorher Seite an Seite in Aliens – Die Rückkehr. Deshalb auch die Kinotafel mit eben diesem Filmtitel im ersten Drittel von Near Dark.

 

IMDB: 6.9 von 10

Letterboxd-Rating: 3.5 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 3.5 von 5 

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Vampire sind wahrscheinlich die bekanntesten und langlebigsten (!) Schreckgestalten des Horrorkinos. Von Stummfilmen wie The Vampire (1911) und Nosferatu (1922) über den frühen Universal-Dracula (1931) und die Hammer-Filme mit Christopher Lee (ab 1958) bis zu aktuellen Filmen wie Die letzte Fahrt der Demeter (2023) oder El Conde (2023), in dem der Diktator Pinochet als 250 Jahre alter Vampir dargestellt wird: Die Blutsauger sind nicht tot zu kriegen.

 

Weltweit gibt es Mythen über vampirartige Wesen, aber die in Europa bekannte Variante verbreitete sich laut ethnologischer Forschung vom südosteuropäischen Raum aus. Von dort stammt auch der Begriff „Vampir“, dessen Bedeutung umstritten bzw. je nach Herkunftsregion verschieden ist. Vieles von dem, was wir über Medien von Vampiren wissen, findet sich in den Büchern des Okkultisten Montague Summers (1880 – 1948), der 1928 bzw. 1929 „Sachbücher“ über Vampire veröffentlichte. Vieles fand sich aber natürlich auch schon in „Dracula“, dem berühmten Roman von Bram Stoker, der 1897 veröffentlicht wurde. Noch ältere Schauergeschichten, in denen Vampire auftauchen, sind „Carmilla“ (1872) von Joseph Sheridan LeFanu und „The Vampyre“ (1819) von John Polidori. Vor allem „Carmilla“ liest sich auch heute noch gut und gruselig.

 

Ursprünglich spiegelt sich in der Angst vorm Vampir vor allem die Angst vor Toten wider, die zurückkehren und sich von der Energie der Lebenden ernähren. Ob man das psychologisch als Schuldgefühl gegenüber (ungeliebten) Verstorbenen oder als eigenwillige Art der Trauerarbeit interpretiert, oder – wie es Wissenschaftler wie Christian Hofreiter oder David Dolphin tun, als Legendenbildung um reale Epidemien bzw. Stoffwechselerkrankungen – ursprünglich haben die Nachzehrer noch keinen nennenswerten Sex-Appeal. Der kommt dann aber spätestens mit Bram Stokers „Dracula“ ins bigotte viktorianische England. Denn nun hat der „fremdländische“ Graf mit seiner besonderen Art der Potenz auch etwas Verführerisches, was Bela Lugosi im 1931-Dracula dann auch dominant-düster auf die Leinwand brachte. Dagegen wirkt Max Schreck als Nosferatu einfach nur grotesk und unheimlich. Auf jeden Fall steht der Vampir schon seit Langem nicht nur für die Angst vor den Toten und dem Verlust der eigenen Lebensenergie, sondern auch für eine vertierte Sexualität, die Faszination durch das Gespann „Macht und Sex“, den fremdländischen Mann, dem man die eigenen Gelüste oder sexuellen Ängste und Sehnsüchte unterstellt und schließlich für Perversion. Denn das Saugen und Bluttrinken führt sicher nicht zu Nachwuchs und wird auch nicht in einer guten, christlichen Ehe praktiziert. Ja, Dracula beißt auch Männer, und spätestens da, müssen im Patriarchat ja alle Alarmglocken klingeln. So ist Dracula eine wunderbar ambivalente Figur: Zugleich repräsentiert er selbst ein archaisches Patriarchat, dass die „moderne“ viktorianische Welt überwunden zu haben glaubt, zum anderen stellt er eine Bedrohung für die immer noch patriarchale Ordnung dar, die durch Ehe, eingehegte Sexualität, die Verdammung von Homosexualität und klare Rollenzuteilungen aufrechterhalten wird.  

 

Viel ließe sich darüber schreiben, und es wird an anderer Stelle auf „Horror & Psychologie“ in nicht allzu ferner Zukunft sicher auch geschehen. Für heute möchte ich mit dem Hinweis abschließen, dass in späteren Vampirfilmen auch andere Themen in den Fokus rückten. So wird in Begierde" (1983) die Angst vor Altern und Vergänglichkeit einem leeren ewigen Leben gegenübergestellt. In Abel Ferraras „The Addiction“ (1995) dient Vampirismus als Metapher für Drogensucht. Und in Near Dark erleben wir die Vampire als soziale Außenseiter, die sich in einer für sie feindlichen Umwelt besonders aggressiv verhalten. 

 

Damit ist das (psychologische) Potential des Vampirs noch nicht ausgeschöpft. Immer wieder finden sich zeitgemäße Variationen der alten Themen oder neue Blickwinkel wie in der Horrorkomödie „Renfield“ aus dem Jahr 2023. Hier stehen Renfield und sein co-abhängiges Verhältnis zu seinem Meister Dracula (Nicholas Cage) im Mittelpunkt.

 

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