· 

Animalia

Mitreißende Utopie/Dystopie

 Frankreich, Belgien 2023      

 Regie: Thomas Cailley                             

 Laufzeit: 130 Minuten

 

Handlung: In der nahen Zukunft: Manche Menschen mutieren aus unbekannten Gründen zu verschiedenen Tieren. François stellt diese Veränderungen auch bei seiner Frau Lana fest und versucht, sie und seinen sechszehnjährigen Sohn Émile vor Schaden zu bewahren. Die Mutanten werden in Zentren versorgt. Eines Tages brechen jedoch einige der Kreaturen – darunter die zunehmend verwandelte Lana – aus und verschwinden in den Wäldern. François und Émile begeben sich auf die Suche.

 

Besprechung: Dieser Film läuft heute in deutschen Kinos an. Ich konnte ihn jedoch schon letztes Jahr auf dem Fantasy Film Fest sehen und war begeistert. Es ist das zweite Werk des 43-jährigen Regisseurs Thomas Cailley, dessen Erstling „Liebe auf den ersten Schlag“ bei Kritik und Publikum sehr gut ankam. Nun also „Animalia“, der exakter aus dem Französischen übersetzt „Das Königreich der Tiere“ heißen müsste. Schon die Prämisse ist toll: Manche Menschen werden ohne erkennbaren Grund nach und nach zu Tierwesen und ziehen sich in die Wildnis zurück. Wenn man sie lässt. Denn in der Regel werden sie von anderen Menschen in "Zentren" versorgt, also eingesperrt und erforscht. Das inspiriert zu interessanten Gedanken und hat bei mir auch starke Emotionen ausgelöst. Was unterdrücken und bekämpfen wir um uns herum und ins uns drin, und was verlieren wir dabei? 

 

Unterstützt wird die starke Grundidee von tollen Darsteller*innen, liebenswerten Charakteren, intelligenten Dialogen, einer richtig gut gezeichneten Vater-Sohn-Beziehung und großartigen Bildern, Musiken und Spezialeffekten. Hervorzuheben ist auch, was der Film alles nicht ist: pathetisch, kitschig, bedeutungsschwanger, moralisierend und besoffen vom eigenen Kunstwillen. Thomas Cailley war auch so klug, nach der Vorführung des Films in Cannes einen zweiminütigen Epilog herauszuschneiden. In seinen Augen wurde darin zu viel erklärt.

 

Will man eine Schwäche beim Film ausmachen, dann ist es wahrscheinlich das Pacing: Einer temporeichen ersten Hälfte steht eine langsamere zweite gegenüber, in der der Film manchmal nicht zu wissen scheint, wo er hinwill. Die Coming-of-Age-Verwandlung des großartigen jugendlichen Hauptdarstellers (Paul Kirchner) nimmt in meinen Augen etwas zu viel Raum ein, zumal man das Motiv schon kennt (Ginger Snaps, When Animals Dream, zuletzt Perpetrator) und es für mich der weniger aufregende Subplot dieses ansonsten wirklich aufregenden Films ist. Von der beginnenden Beziehung zwischen Émile und Nina hätte ich allerdings gerne noch mehr gesehen, denn die beiden sind super.

 

Ein purer Horrorfilm ist „Animalia“ keineswegs und sei damit auch Menschen ans Herz gelegt, die keine Blutfontänen sehen wollen, Schreckeffekte hassen und nicht zwei Stunden lang bedrohliche Musik aushalten wollen. Es ist eher ein phantastischer Film mit einer Prise Horror, der interessanterweise auf mich kaum französisch wirkt. 

 

Wo wir bei Nationen sind: Warum zur Hölle ist es nicht denkbar, dass ein derart frischer und gut gemachter Film mit phantastischen Elementen mal aus Deutschland kommt? Ich vermute: In den Filmförderungen sind phantasielose Menschen beschäftigt, die lustlos Listen abarbeiten, in denen volkserzieherische Bedenken aus den 1950ern vor Phantasterei und pädagogisch fragwürdigen „Schockern“ festgehalten sind.

 

IMDB: 7.1 von 10

Letterboxd-Rating: 3.6 von 5                                                                                                      

Neft-Rating: 4 von 5 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Steffelowski (Sonntag, 14 Januar 2024 10:34)

    Animalia hebt sich angenehm vom generischen Kino-Einerlei des französischen Films der letzten Jahre ab. Zumindest was Filme angeht, die auch in die Deutschen Kinos kommen.