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Die Mächte des Wahnsinns (Mit Audio)

Anspielungsreicher Film über die Macht der Fiktion

 USA 1994

 Regie: John Carpenter

 Laufzeit: 95 Minuten

 

Handlung: Versicherungsdetektiv John Trent (Sam Neill) bekommt einen sonderbaren Auftrag: Der berühmte Horrorautor Sutter Cane ist verschwunden, kurz bevor sein neuester Roman in den Druck soll. Seine Lektorin Linda Styles (Julie Carmen) und sein Verleger (Charlton Heston) machen sich Sorgen, vor allem, weil sie beide das Manuskript zu dem Roman noch nicht gelesen haben. Sie kennen nur den Titel: „Die Mächte des Wahnsinns.“ Trent entdeckt einen Hinweis, von dem er glaubt, dass Sutter Cane ihn absichtlich hinterlassen hat, und macht sich zusammen mit Styles auf nach Hobb’s End. Das abgeschiedene Dorf kommt auch in manchen Romanen des Horrorschriftstellers vor. Dort geht es reichlich seltsam zu.

 

Besprechung: Dieser dritte Film aus Carpenters „Apokalypse Trilogie“ (nach „Das Ding aus einer anderen Welt“ und „Die Fürsten der Dunkelheit“) floppte an den Kinokassen und erhielt damals auch eher schlechte Kritiken. Heute gilt der Film als der letzte „wirklich gute Carpenter“. Dem würde ich generell zustimmen, allerdings verhalten. Ich liebe (die meisten) frühen Carpenterfilme und Lovecraft sowieso. Auch sagen mir Sam Neill, Julie Carmen und das Meta-Ebenen-Spiel zu. Wieso also verliebe ich mich auch beim dritten Gucken nicht in diesen Film, der für viele Horrorfans Kult ist? Vielleicht passen für mich der intellektuelle Ansatz und der B-Movie-Vibe nicht gut zusammen. Vielleicht sind die Dialoge und die Charaktere etwas zu flach für das Thema. Und ja, ich weiß, wir befinden uns in einer billigen Horror-Paperback-Geschichte, aber auch das lässt sich origineller verpacken. Vielleicht ist auch die Prämisse, dass alles nur Fiktion bzw. Wahnsinn bzw. Schwarmglaube ist, nicht so interessant, denn wenn alles möglich ist, ist nichts wirklich wichtig. Trotzdem ist das ein unterhaltsamer Film mit einigen guten Ideen, hübschen praktischen Effekten und stimmungsvollen Setpieces, in dem es viel zu entdecken gibt.

 

Zum Beispiel musste ich lachen, als Sutter Cane das erste Mal auftaucht, handelt es sich doch um einen gelockten Jürgen Prochnow, der im Vorspann als „Jurgen Prochnow“ angekündigt wird. Die Zitate aus den Sutter Cane Büchern stammen allesamt aus Lovecraft-Geschichten. Stephen King, mit dem Carpenter befreundet ist, wird natürlich auch erwähnt.

 

Trivia: Kings Kurzgeschichte „Crouch End“, die bereits 1980 in einer Anthologie namens „New Tales of the Cthulhu Mythos“ veröffentlicht wurde, enthält einige Ähnlichkeiten zu „Die Mächte des Wahnsinns“. Der Name des Filmörtchens „Hobb’s End“ geht aber zurück auf den Namen der U-Bahnstation, bei der im Film „Das grüne Blut der Dämonen“ (1967) das Alien-Raumschiff ausgegraben wird. So könnte man noch eine Weile weiter abnerden, aber für hier und heute soll es genug sein.

 

Nur noch so viel: Beim Metal-Gitarrenriff, das am Anfang und Ende des Films zu hören ist, hat sich Carpenter zusammen mit Filmmusik-Komponist Jim Lang und Dave Davies (Gitarrist bei „The Kinks“) stark von Metallicas „Enter Sandman“ beeinflussen lassen.

 

IMDB-Rating: 7.1 von 10

Letterboxd-Rating: 3.8 von 5

Neft-Rating: 3.5 von 5 

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Zurück zu der Frage, die am letzten Horrorfreitag unter der Besprechung des Films SAW X thematisiert wurde: Was sagen größere Übersichten und Meta-Analysen über die psychologischen Auswirkungen von Horrorfilm-Konsum?

 

In „(Why) Do You Like Scary Movies“ (1), einem Überblick über die empirische Forschung mehrere Disziplinen zu den psychologischen Reaktionen auf Horrorfilme, präsentiert G. Neil Martin einige Forschungsergebnisse, die Horrorfilmfans nicht unbedingt freuen dürften: So zeigt sich laut manchen Studien, dass Menschen, die weniger empathisch und weniger ängstlich sind, Horrorfilme mehr genießen können, dass Männer und Jungen mehr Freude an Horrorfilmen haben als Frauen und Mädchen (darüber ein anderes Mal mehr), und dass es einen Zusammenhang zwischen dem Persönlichkeitsmerkmal „Machiavellismus“ (Interesse an Macht und Machtausübung) und dem Spaß an Horrorfilmen gibt. Darüber hinaus gibt die Übersicht Studienergebnisse an, denen zufolge ein „repressiver Copingstil“, also die Angewohnheit, negative Stress-Auswirkungen zu unterdrücken, tendenziell zu stärkerem körperlichen Stress beim Ansehen von Horrorfilmen führt. Das sagt allerdings nichts darüber aus, ob das Ansehen als angenehmer oder weniger angenehm empfunden wird.

 

Zu den Studien, die einen Zusammenhang zwischen geringerer Empathie und höherem Horrorgenuss nachweisen konnten, ist allerdings zu sagen, dass sie sich nur auf Filme beziehen, in denen Folter und Brutalität ohne positive Lösung des Geschehens gezeigt wurden. Beim Angucken anderer Arten von Horrorfilmen konnte der Zusammenhang nicht nachgewiesen werden. Es ist ohnehin ein Problem der empirischen Forschung in diesem Feld, dass nicht nur Individuen sehr unterschiedlich auf Filme reagieren, sondern auch dass das Label „Horrorfilme“ sehr unterschiedliche Werke umfasst, die schwer miteinander in Relation zu setzen sind.  

 

Während wir bisher darüber gesprochen haben, welche Eigenschaften Menschen haben, die Spaß an Horrorfilmen haben können, soll es nun aber endlich auch um die Frage gehen, wie sich das Gucken solcher Filme auf die Menschen auswirken kann. So nennt G. Neill Martin in seiner hilfreichen Übersicht zwar Studien, die von einer „Cinematic Neurosis“ sprechen und Fälle angeben, in denen Menschen nach dem Ansehen von Horrorfilmen (Der Exorzist, Der weiße Hai, Die Körperfresser kommen) psychologische Behandlung in Anspruch nehmen mussten. Allerdings sind diese Studien zum einen rar, zum anderen ergibt sich aus dem Kontext der Untersuchungen, dass das Ansehen des Films nur der Auslöser für eine bereits vorhandene Problematik gewesen ist. So hätten alle Betroffenen einer „Cinematic Neurosis“ starke religiöse Ansichten und obendrein kürzlich ein Familienmitglied (potentiell) verloren, gegenüber dem sie ambivalente Gefühle hatten. Auch andere relevante Stimuli hätten laut Martin also die Angst- und Stresszustände auslösen können. Das hält Horrorfilmgegner*innen natürlich nicht davon ab, genau die sieben Studien, die es zu psychologischen Problemen nach Horrorfilmen gibt, immer wieder verkürzt zu zitieren. Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass Horrorfilme harmlos sind. Der starke Stress, den sie erzeugen können, kann psychologische Probleme triggern oder verstärken. 

 

Zusammenfassend sagt G. Neill Martin zu den Auswirkungen von Horrorfilmkonsum auf die psychische Gesundheit:

 

„Die Seltenheit einer derart extremen emotionalen Belastung, die eine psychiatrische Intervention erfordert, legt nahe, dass Horrorfilme, obwohl sie dazu gedacht sind, Angst und Panik hervorzurufen, keine signifikanten langfristigen Folgen haben, die die geistige, soziale und berufliche Funktion einer Person beeinträchtigen können, und dass diejenigen Personen, die von solchen Beeinträchtigungen berichten, andere Charakteristiken und Erfahrungen haben, die der von ihnen gemeldeten Erkrankung zugrunde liegen können. Zwar gibt es keine Belege dafür, dass der Kontakt mit Horrorfilmen negative oder nachhaltige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Personen hat, bei denen keine psychischen Gesundheitsprobleme vorliegen, es gibt jedoch Belege dafür, dass das Ansehen von Horrorfilmen zu kurzfristigen Ängsten und Schlafstörungen führen kann, die von den Betroffenen selbst berichtet werden.“ (Aus dem Englischen übersetzt mit DeepL)

 

Allgemein lässt sich ergänzen, dass in der Medienwirkungsforschung verschiedene Theorieansätze über die Auswirkungen von Gewalt in Medien (Filmen, Musikvideos, Computerspielen) auf die eigene Gewalttätigkeit existieren:

 

• Die Inhibitionstheorie: Gewaltdarstellungen in Medien können Angst erzeugen und dadurch die Aggressionsbereitschaft hemmen.

• Die Stimulationstheorie: Gewaltdarstellungen können die Aggressionsbereitschaft fördern.

• Die Habitualisierungstheorie: Nach dieser Theorie kann Gewalt in Medien abstumpfend und gewöhnend wirken.

• Die Katharsistheorie: Gewaltdarstellungen in Medien können Spannungen abbauen und die Gewaltbereitschaft mindern. (2)

 

Der Zusammenhang von fiktionaler und realer Gewalt ist komplex, da Kinder und Jugendliche, die in ihrem persönlichen Nahumfeld Gewalt erfahren, tendenziell eher gewalthaltige Medien konsumieren. Laut der Sozialisationshypothese macht die reale Gewalterfahrung die Kinder aggressiver. Da sie aber auch eher gewaltvolle Medien nutzen (Selektionshypothese), ist ein gewaltverstärkender Einfluss dieser Nutzung nicht auszuschließen. (3)

 

Abschließend möchte ich den so schlichten wie bedenkenswerten Hinweis von Dr. Pamela Ruthledge, Leiterin des „Media Psychology Research Center“ erwähnen:  Beim (Horror-)Filmkonsum sollte man darauf achten, wie man sich währenddessen und danach fühlt und achtsam mit seinen eigenen Grenzen umgehen. (4) Zum Beispiel sollte man darauf achten, ob man wegen des Schauens von Filmen schlechter schläft (sei es wegen langem Gucken, spätem Gucken, Gucken von aufwühlenden Filmen), reizbarer und ängstlicher wird oder andere negative Effekte bemerkt. 

 

Es ist vielleicht ein bisschen wie mit Achterbahnfahrten. Für die einen ist es ein Riesenspaß, den sie aber auch nicht den ganzen Tag betreiben sollten. Anderen wird kotzschlecht und sie haben danach noch stundenlang Kopfschmerzen. So gilt bei Horrorfilmen wie bei vielen anderen Bereichen des Lebens: Sei freundlich zu dir selbst, zwing dich zu nichts und behalte im Blick, was dir wirklich guttut und was du wirklich brauchst. Amen.

 

(1) https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2019.02298/full

(2) Wikipedia-Eintrag zu „Fiktionale Gewalt“  

(3) Ebd.                                                                      

(4) https://www.healthline.com/health/how-do-horror-movies-affect-your-mental-health

 

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