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SAW X (mit Podcast)

Einer der besten SAW-Filme, und trotzdem überflüssig

 USA 2003

 Regie: Kevin Greutert

 Laufzeit: 118 Minuten

 

Handlung: Dieser zehnte Teil der Reihe spielt zwischen Teil 1 und 2. John Kramer ist todkrank. Sein Hirntumor scheint inoperabel. In einer Selbsthilfegruppe für todgeweihte Krebspatienten lernt er einen Mann kennen, der dank einer sensationellen neuen Heilmethode dem Tod doch noch mal von der Schippe springen konnte. Kramer reist nach Mexico, um die nicht zugelassene Operation samt medikamentöser Therapie in einem abgelegenen Chemiekraftwerk im Dschungel durchführen zu lassen. Es läuft natürlich nicht so wie erwartet, aber bald zeigt sich: Kramer ist trotzdem ganz der Alte. 

 

Besprechung: Handwerklich kann sich SAW X wirklich sehen lassen. Die Fotografie ist gut (ja, okay, sie haben den dämlichen Breaking-Bad-Mexico-Filter benutzt), der Score ebenso, die Kameraarbeit ist facettenreich und setzt sowohl auf benommen machende Wackeligkeit, als auch ruhige Close-ups und Halbtotalen, die handgemachten Spezialeffekte sind saftig und vor allem sind die schauspielerischen Leistungen diesmal durchgängig akzeptabel. Tobin Bell spielt den John Kramer facettenreicher denn je, und Synnøve Macody Lund ist eine Gegenspielerin mit starker Leinwandpräsenz. Enttäuscht war ich nur von Shawnee Smith, die ihren Part als Amanda in meinen Augen schon mal besser gespielt hat. 

 

Die Geschichte lässt sich diesmal viel Zeit. In den ersten 35 Minuten kam ich mir manchmal vor wie im Film "SAW, aber als Drama für Emos". Nach hinten raus holt man dann aber auf und präsentiert wieder ein paar abartige Fallen und Spiele (und ein Eingeweide-Seil!), die mindestens ins gehobene Mittelfeld der Reihe gehören. Was Plausibilität, Logik und Anschlussfehler angeht, gab es durchaus abstrusere Filme in der Reihe, dieser hier ist sogar besonders geradlinig erzählt, ziemlich bodenständig und gibt sich zumindest hin und wieder Mühe, Fragen zu klären, die sich während des Guckens stellen mögen. Nein, wir erfahren nicht wie der krebskranke Bastelopa in Windeseile die ganzen Fallen konzipiert, das entsprechende Material beschafft und dann alles selbst zusammengebaut hat. Das wird auf immer sein Geheimnis bleiben. Vielleicht kommt da mittlerweile alles aus dem 3D Drucker, auch die Jigsawpuppe, die diesmal leider nicht kichern darf. 

 

Warum hätte ich trotzdem auf den Film verzichten können? Für mich ist SAW nach Teil 3 auserzählt. So wollten es die kreativen Köpfe, aber die Produktionsfirmen wollten die Geldkuh natürlich weiter melken. SAW X macht seine Sache gut, kann aber nichts Neues erzählen. Dass das selbstgerechte, sadistische Arschloch Kramer hier mehr denn je als Mensch mit Gefühlen und eigenem Schicksal dargestellt wird, ist angesichts der komplett abartigen Verbrechen dieses Mannes einfach nur absurd. Und das ist eh ein Problem oder zumindest eine Eigentümlichkeit der Reihe: Man kann nicht mit dem Killer sympathisieren, weil dessen Moral-Blabla einfach nur bescheuert ist, und auch durch ein Krebsleiden nicht im Geringsten nachvollziehbar ist, was er tut. Man kann aber auch mit der Mehrheit seiner Opfer nicht sympathisieren, weil sie oft gemein, egozentrisch und dummdreist sind. Natürlich wünscht man ihnen nicht die schrecklichen Martern, die sie aushalten müssen, aber auf ein Bier einladen würde man sie auch nicht. Hier gibt es immerhin Unterschiede: Gabriela ist noch ganz sympathisch, mit ihr habe ich am ehesten mitgefiebert.

 

Tendenziell guckt man also auch bei SAW X fast zwei Stunden lang Menschen zu, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben will. Mal tut einem der eine ein bisschen leid, mal die andere, aber eigentlich ist man froh, wenn man endlich wieder seine Ruhe hat nach der ganzen Schreierei. Vielleicht ist diese vermeintliche Schwäche aber auch zugleich eine Stärke von SAW: Es bleibt ein emotional unauflösbarer Rest. Und wie nach einem Essen beim Fast Food König ist man nach einem SAW-Film nie richtig zufrieden. Man hat den Magen voller Geschmacksverstärker und leerer Kalorien und weiß nicht recht, was man von dem Film und vor allem von sich selbst halten soll. Und genau deswegen schaut man sich dann auch gleich noch den nächsten Teil der Reihe an. Und ich fürchte, ich werde bei SAW 11 auch nicht widerstehen können.

 

Nach dem Kinobesuch mit Piero Masztalerz habe ich dem Film 3.5 von 5 Sternen gegeben. Nach einer Woche drüber Nachdenken und dem Hören der 304. Folge des tollen Horrorfilmpodcasts „Devils & Demons“ habe ich auf 3 runterkorrigiert.

 

Trivia: Man sieht in einer Szene des Films Skizzen, die John Kramer angefertigt hat, zum Beispiel von dem Foltergestell aus Teil 3.

 

In einer anderen Szene sieht man John Kramers Mailadresse: kramerjohn994@gmail.com. Diese Adresse funktioniert. Man kann Kramer also schreiben und bekommt auch eine Nachricht von ihm.

 

Dies ist der erste Teil der Reihe, in der John Kramer die Hauptfigur ist und es keine polizeilichen Ermittler*innen gibt. Auch ist es mit fast zwei Stunden Laufzeit der bisher längste Film der Reihe und mit 80 Prozent positiven Kritiken auf rotten toamtoes, der von der Kritik am besten aufgenommene.
 

IMDB-Rating: 6.6 von 10

Letterboxd-Rating: 3.2 von 5

Neft-Rating: 3 von 5 

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Die Frage, ob das häufige Gucken von Horrorfilmen und besonders gewaltintensiven Streifen negative Auswirkungen hat, ist alt. Menschen, die Horrorfilme moralisch schlecht finden, neigen zu der Ansicht, dass man durch das Gucken ängstlicher, depressiver oder verrohter und gewalttätiger werden kann. Horrorfilmfans wiederum sagen in der Regel, dass nichts davon der Fall ist. Was aber sagen Studien?

 

Zunächst einmal: Man kann fast zu jeder Meinung eine Studie finden, die diese Meinung zu bestätigen scheint. So gibt es Studien, die belegen, dass der Klimawandel NICHT menschengemacht ist. Solche Studien werden dann gerne von Think Tanks der Lobby für fossile Brennstoffe aufgeblasen, zitiert und verbreitet. Auf eine jede dieser Studien kommen allerdings Tausende, die das Gegenteil herausgearbeitet haben. Eine einzige Studie ist also oft nicht besonders hilfreich. Außerdem schwankt die Aussagekraft von Studien erheblich. Wer hat sie mit welchem Erkenntnisinteresse erhoben? Wie wissenschaftlich sinnvoll ist die Fragestellung? Wie gut war das Studiendesign in Hinblick auf Teilnehmer*innen, Dauer, Vermeidung von Verzerrungen? Wenn beispielsweise Mönche im Mittelalter der Frage nachgegangen sind, warum Frauen so notgeil sind, und dann herausgefunden haben: Es liegt an ihrer Gebärmutter – dann war das damals vielleicht der heiße wissenschaftliche Scheiß. Aber schon die Frage ist Quatsch und führt auf Abwege.

 

Was sagen wissenschaftliche Untersuchungen nun also über die psychologischen Auswirkungen von Horrorfilmkonsum?

 

Beginnen wir mit einer Studie, die der Frage nachging, wie sich der starke Horrorfilmkonsum mancher Menschen in der Coronapandemie ausgewirkt hat. Das überraschende Ergebnis: Die Horrorfans begegneten der realen Krisensituation mit mehr Resilienz (1). Dabei sind laut einer Forschungsgruppe um Gideon Nave von der University of Pennsylvania Horrorfilmfans im Durchschnitt nicht robuster, sondern sogar etwas neurotischer und ängstlicher als Menschen, die dieses Hobby nicht haben (ebd.). Das Gucken von Filmen mit gruseligem Inhalt verschafft ihnen allerdings ein Gefühl von Kontrolle, dass sich während der Pandemie positiv auswirkte. 

 

Der Forscher Mathias Clasen von der dänischen Aarhus Universitet unterstützt diesen Befund, in dem er den Reiz von Horrorfilmen mit evolutionsbiologischen Ansätzen erklärt. Durch das Angucken der schrecklichen Filme lernen Menschen, Clasen zufolge, den emotionalen Umgang mit Katastrophen, Bedrohungen, Schreckensszenarien und feindlich gesinnten Artgenossen. (2) 

 

Der Verhaltensforscher Coltan Scrivener (ebenfalls Aarhus Universitet) konnte in einer Studie zeigen, dass die gängige Meinung über Horrorfilmfans ist, dass sie aggressiver, gefährlicher und perverser sind als andere Menschen. In verschiedenen Persönlichkeitstests wies er dann nach, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Schauen blutrünstiger Filme und der Empathiefähigkeit gibt, ja dass sogar Horrorfilmfans im Vergleich zu etwas mehr Mitgefühl zu neigen scheinen. (3) 

 

Psychologieprofessor Thorsten Fehr erklärt in einem Beitrag, dass in Bezug auf die Auswirkungen von Horrorfilmen entscheidend ist, ob sie als real oder virtuell wahrgenommen werden. Vor allem Kinder könnten hier noch nicht gut zwischen echt und unecht unterscheiden, so dass ihr Gehirn reagiert wie bei echter Gefahr. Das gilt auch tendenziell für manche Jugendliche und Erwachsene, die wenig Erfahrung mit dem Genre haben und nicht über ausreichend Differenzierungsvermögen verfügen. Fehr schreibt: „Gerade bei Kindern und Jugendlichen können Horrorfilme tiefe Gedächtnisnarben verursachen, also Ängste oder psychische Störungen begünstigen.“ Er schreibt aber auch: „Menschen, die häufig Horrorfilme schauen, regelrechte Fans sind oder das Genre als ihr Hobby betrachten, reagieren auf diese Filme völlig anders als soeben beschrieben. Diese Menschen, die im Alltag sozial kompetente und liebe Zeitgenossen sein können, ordnen das Gesehene als virtuell ein.“ (4)

 

Doch sind das nur Einzelstudien. Was sagen größere Übersichten und Meta-Analysen? Da es hier kompliziert, widersprüchlich und aufgrund ideologischer Motivationen hinter den Studienergebnissen fischig wird, will ich die Antwort für heute zurückstellen und die geneigte Leserschaft auf den nächsten Horrorfreitag vertrösten. Hier soll nur abschließend gesagt werden: Es gibt nicht eine für alle Menschen gültige simple Antwort, die das Gucken von Horrorfilmen eindeutig zum harmlosen Zeitvertreib oder zur psychologisch fragwürdigen Obsession machen.  

 

(1) https://www.psychologie-heute.de/gesellschaft/artikel-detailansicht/42305-wohliger-grusel.html

(2) Mathias Clasen: Why Horror Seduces. Oxford University Press, New York 2017

(3) https://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-horrorfilm-1.5609428

(4) https://www.dasgehirn.info/aktuell/frage-an-das-gehirn/was-passiert-im-gehirn-wenn-wir-einen-horrorfilm-anschauen

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