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Saw – Wessen Blut wird fließen? (mit Audio)

Brutalo-Horro-Hit, der eine langlebige Reihe begründete

 USA, Australien 2004

 Regie: James Wan

 Laufzeit: 103 Minuten

 

Handlung: Escape Room Game Extreme: Zwei Männer, die sich nicht kennen, wachen angekettet in einem großen, runtergekommenen Badezimmer auf. In der Mitte liegt eine Leiche. Nach und nach stellt sich heraus, dass ein gewisser „Jigsaw“ sein sadistisches Spiel mit den beiden treibt. Der eine soll den anderen töten, um freizukommen. Und die Zeit läuft.

 

Bewertung: Jedes Jahrzehnt hat seine sagenumwobenen Horrorfilme. Für Menschen, die in den 1960ern Teenager*innen waren, ist es vielleicht Die Nacht der lebenden Toten, für in den 1970ern oder 1980ern Aufgewachsene Der Exorzist, The Texas Chainsaw Massacre oder Freitag der 13., und für die Kids der 2000er dürfte recht oft „Saw“ der heiße Scheiß gewesen sein, über den man auf dem Schulhof oder im ICQ-Chat gesprochen hat. Regie führte James Wan, der später mit Insidious und Conjuring sehr erfolgreiche Horror-Reihen ins Leben rief. Aber „Saw“ war im Verhältnis Ausgaben/Einnahmen der größte Erfolg. Der Film spielte bei Produktionskosten von gut 1 Million Dollar das Hundertfache ein und brachte es bislang auf so viele Teile wie ein Mensch Finger an zwei unverstümmelten Händen hat. 

 

Heißt das, dass „Saw“ ein richtig guter Film ist? Nein. Die Schauspieler*innen sind nicht besonders talentiert und haben Mühe, den wilden Stoff – eine Art klaustrophobische B-Movie-Variante von Finchers „Sieben“ – plausibel rüberzubringen. Die hektischen Schnitte und die Farbfilter lassen an einen New-Metal-Fan denken, der für sein erstes MTV-Video übt, und die Plausibilität der Geschichte ist nichts für die Hornbrillenfraktion unter den Filmfans. Bildungsbürger*innen haben sich damals eh kaum in den torture porn verirrt, der angeblich selbstzweckhaft abstoßende Gewalt zeigt, um ein voyeuristisches Publikum bei Laune zu halten. Der Begriff torture porn geht auf den US-amerikanischen Filmkritiker David Edelstein zurück, der 2006 einigen neueren Filmen einen besonders ausgeprägten Sadismus nachsagte, darunter neben Wolf Creek, The Devil’s Rejects, Hostel und dem von Mel Gibson inszenierten Jesus-Spektakel „Die Passion Christi“, eben auch „Saw“. Natürlich bot schon das Grindhouse-Kino der 1970er ausgefeilten Sadismus, aber der torture porn der frühen 2000er lief nicht nur in schmierigen Bahnhofskinos und erreichte ein größeres Publikum. Diese Entwicklung hat sich seitdem verstärkt, wie wir noch bei der Besprechung von SAW X sehen werden.

 

Ist der erste SAW-Film nun einfach billige Effekthascherei mit fieser Foltergewalt? Nein. Der Film kombiniert geschickt optische und inhaltliche Motive, auf die sich gut eine Reihe aufbauen ließ. Optisch gibt es neben den erwähnten schnellen Schnitten, Schweinemasken und einer sonderbaren Jigsaw-Puppe, außerdem bizarr gestaltete Fallen und unwirtliche Nutzräume, in denen niemand leben (aber auch nicht sterben) möchte. Inhaltlich müssen die Opfer des Sadisten Tests bestehen, die wahlweise mit moralischen Entscheidungen oder dem Überwinden von Schmerz- und Ekelgrenzen im Interesse des Selbsterhalts zu tun haben. „Saw“ stellt unangenehme Fragen, ohne sie zu beantworten und bettet sie in einen eigenständigen Filmkosmos ein, in dem Rätsel, die Frage, wie sich jemand entscheidet, und überraschende Wendungen fest ins Repertoire gehören. Dabei ist gerade der erste Teil nicht so gewalt-explizit wie sein Ruf, sondern bietet vor allem eine fiese Atmosphäre und üble Ideen. Dabei wird die Spannung bis zum Schluss gehalten, auch wenn man eigentlich niemanden wirklich sympathisch findet.

 

Trivia: Der Film wurde in nur 18 Tagen gedreht, wobei alle Baderaumszenen in chronologischer Reihenfolge gefilmt wurden, damit die beiden Protagonisten sich emotional besser mit ihren Rollen identifizieren können.

 

James Wan wollte die emotionalen Zustände der beiden Hauptfiguren auch durch Kamerabewegungen sichtbar machen. Bei Dr. Gordon ist die Kamera ruhig und fokussiert, bei Adam wurde eine eher wackelige Bilder erzeugende Handkamera genutzt.

 

Wan erklärte später, die Ideen im Film basierten größtenteils auf Alpträumen, die er und Drehbuchautor Leigh Whannell als Kinder gehabt hatten.

 

Die coole Puppe namens „Billy“ hat Wan höchstpersönlich gebaut.

 

Ein üppiges SAW-Quiz für Nerds gibt es hier.

 

IMDB-Rating: 7.6 von 10

Letterboxd-Rating: 3.6 von 5

Neft-Rating: 3.5 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Ähnlich wie „John Doe“ in „Sieben“ verfolgt „Jigsaw“ seine fiesen Folterspiele nicht aus purer Freude am Bösen, sondern handelt in einem moralischen Auftrag. Natürlich wirkt die Begründung „undankbaren Menschen den Wert des Lebens klar zu machen“ angesichts der organisierten Brutalität des Täters völlig bescheuert und dürfte vor keinem Gericht der Welt zu einem „Hmm, tja, so betrachtet“ bei den Anwesenden führen. Aber tatsächlich verüben Menschen weltweit seit alters her große Grausamkeiten vor allem für die „gute Sache“. Es mag sein, dass die Folterknechte und Strafanordner dieser Welt Freude an ihren Taten haben, aber selten sagt jemand, er habe einen anderen Menschen aus Jux und Dollerei gequält, getötet oder seine Auslöschung in Auftrag gegeben.

 

So will der AfD-Politiker Björn Höcke nicht etwa „den Stall ausmisten“ und „ein großangelegtes Remigrationsprojekt“ mit „wohltemperierter Grausamkeit“ ins Werk setzen, weil er Freude an der Qual anderer hätte, sondern weil er sich als Politiker „den Interessen der autochthonen [also biodeutschen] Bevölkerung“ verpflichtet fühlt. Es geht um den Erhalt etwas Guten. Dafür müssen die Menschen dann wohl leider auch einmal „Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen.“ (1)

 

Die Gulags, Auftragsmorde und Spitzeleien unter Stalin wurden als notwendiges Übel im Kampf gegen den Klassenfeind und für den Sieg der kommunistischen Idee betrachtet. Die Nationalsozialisten wiederum begründeten ihre kalt organisierte Gewalt damit, dass sie bestimmte Menschen als ethnisch, moralisch oder genetisch niederstehend bezeichneten, und damit als schädlich für den „gesunden Volkskörper“. Jedes Glied der Täterkette konnte sich sagen, für ein gutes, großes Ganzes zu handeln, und dabei auch einmal mit „brutaler Entschlossenheit“ handeln zu müssen. 

 

Ob Robespierre in der französischen Revolution, Mao Tse-tung oder die katholische Inquisition – sie alle sahen sich als Vertreter des Guten und konnten die Bösen genau benennen. Psychologische Untersuchungen zeigen, dass Menschen andere denunzieren, quälen und töten können, ohne an Schuldgefühlen zu zerbrechen oder depressiv zu werden. Vorausgesetzt, sie tun es auf Befehl eines Systems, das sie für richtig halten. Berüchtigt ist zum Beispiel das 1961 erstmals durchgeführte Milgram-Experiment (benannt nach seinem Entwickler, dem Psychologen Stewart Milgram). In der Versuchsanordnung sollten Testpersonen, die sogenannten „Lehrer“, auf Anordnung des Versuchsleiters andere Testpersonen, die sogenannten „Schüler“, mit unterschiedlich starken Stromstößen bestrafen, wenn diese Fehler machten. Die Stromstöße waren nicht echt und die „Schüler“ Schauspieler. Das aber wussten die „Lehrer“ nicht, die ihr moralisches Empfinden und ihre Empathie beiseiteschoben, um den Anweisungen gerecht zu werden. Dabei verabreichten von den 40 „Lehrern“ 26 die maximale und theoretisch tödliche Dosis an „Stromstößen“, nur 14 brachen vorher ab, und von denen niemand schon vor einer Stärkestufe, die mit lauten Schreien der „Schüler“ einherging. (2)  

 

Auch die Untersuchungen des Psychologen Michael Osofsky zur Psychologie von Henkern legen nahe, dass in Bezug auf Gewalt und Grausamkeit völlig unauffällige Menschen gut zu monströsen Taten fähig sind, wenn sie sich erfolgreich einreden, einfach nur Ausführende für ein System zu sein, das seine Entscheidungen aus guten Gründen trifft. "Die Mitglieder des Exekutions-Teams sehen sich selbst als jemand, der Arbeit für die Gesellschaft leistet wie jeder andere auch, der in einer institutionalisierten Dienstleistungseinrichtung arbeitet", schreibt Michael Osofsky in einem Forschungsbericht gemeinsam mit den Psychologie-Koryphäen Albert Bandura und Philip Zimbardo. (3) Letzterer wiederum leitete 1971 das ebenfalls berüchtigte Stanford-Prison-Experiment (auf übertreibende Weise verfilmt als „Das Experiment“ mit Moritz Bleibtreu). Durch die Versuchsanordnung, in der die rein männlichen Teilnehmer in „Wärter“ und „Gefangene“ unterteilt wurden, sollte menschliches Verhalten im Zustand der Gefangenschaft erforscht werden. Das auf zwei Wochen angelegte Experiment wurde nach sechs Tagen abgebrochen, da das Verhalten der Teilnehmer eskalierte und Zimbardo bei sich selbst stark autoritäre Haltungen gegen die „Gefangenen“ feststellte. Mittlerweile gelten Versuchsaufbau und -verlauf als fragwürdig. So hatte Zimbardo den Wärtern schon im Vorfeld klar gemacht, was er durch das Experiment zeigen wollte. Trotz seiner wissenschaftlichen Angreifbarkeit hatte der Versuch starke Auswirkungen und sorgte vor allem für eine humanistische Reformation der US-amerikanischen Gefängnisse. (4). Menschen sind keinesfalls "schlecht", aber bestimmte Faktoren begünstigen, dass sie grausam gegen andere handeln, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. Gehorsam gegenüber autoritären Machthabern und Systemen ist darunter ein besonders zentraler Faktor.

 

(1) https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-10/rechtsextremismus-bjoern-hoecke-afd-fluegel-rechte-gewalt-faschismus

(2) https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/was-war-das-milgram-experiment-100.html

(3) https://www.spektrum.de/news/die-seele-des-henkers/1374603

(4) https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/was-war-das-stanford-prison-experiment-104.html

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