Erfolgreicher Horrorfilm aus Deutschland
• Deutschland 2000
• Regie: Stefan Ruzowitzky
• Laufzeit: 103 Minuten
Handlung: Die Münchner Medizinstudentin Paula (Franka Potente) freut sich sehr, als sie zum elitären Anatomiekurs von Professor Grombek in Heidelberg zugelassen wird. Auch ihr Großvater ist stolz, hat er doch selbst in jungen Jahren in Heidelberg Medizingeschichte geschrieben. Sein Sohn, Paulas Vater, ist hingegen als gewöhnlicher Hausarzt kein Karrierist. Zusammen mit der selbstbewussten sex-positiven Gretchen gerät die ehrgeizige Paula in Heidelberg in eine Männerwelt zwischen patriarchaler Tradition und wissenschaftlicher Moderne, und merkt nach dem Tod ihrer Reisebekanntschaft David, dass hinter der Exzellenz blutige Geheimnisse lauern. Oder anders gesagt: „Die einen studieren, die anderen werden studiert.“
Besprechung: Deutschland hat zum Horrorfilm in den letzten Jahrzehnten wenig beigetragen. Einflussreiches und Innovatives wie „Ringu“ (Japan), „Saw“ (USA), „Martyrs“ (Frankreich) oder „Der Babadook“ (Australien) kam aus anderen Ländern. Das liegt vor allem an der deutschen Filmförderungslandschaft, in der phantasielose Beamte ohne cinephile Neigungen anhand von Vorgaben bestimmen, was förderungswürdig ist, und dazu gehören im Land der Dichter und Denker nicht pädagogisch fragwürdige Filme aus dem zwielichtigen Horror-Genre. „Anatomie“ gehört zu den wenigen Ausnahmen, vermutlich, weil hier a) die dunkle deutsche Geschichte thematisiert wird und b) ein Wiener Regie führte. Der eigenständige Medizin-Horrorthriller mauserte sich nicht nur in Deutschland zum meistgeschauten Kinofilm im Jahr 2000, sondern kam auch in den US-Kinos gut an und zog 2003 eine Fortsetzung nach sich.
Tatsächlich wirkt der Film auch heute noch erstaunlich frisch, nicht nur wegen des „Ethikthemas“ und der richtig guten handgemachten Effekte, sondern vor allem wegen seines feministischen Blickwinkels, der zwei junge Frauen in einer toxischen Männerwelt platziert, bevor der Begriff „toxische Männlichkeit überhaupt benutzt wurde. Alle Männer im Film, auch Paulas love interest Caspar, zeigen keinerlei Verletzlichkeit. Sie sind nie unsicher, traurig, betroffen, verängstigt. Auch Gretchen ist immer „oben auf“, so dass Paula der einzige vollständige Mensch in dieser faschistoiden Verdrängergesellschaft zu sein scheint. Und prompt wird sie von Professor Grombek auf ihre „weiblichen Emotionen“ angesprochen. Interessant ist auch der Kontrast zwischen einem in orange-Tönen gehaltenen, altbackenen Heidelberg, in dem die Student*innen in Holzkneipen alte Lieder singen, und den kalt-bläulichen Forschungseinrichtungen einer „Exzellenz-Medizin“. Auch der Soundtrack zwischen damaligen Hits, 60er-Jahre Hollywood-Filmorchester und Fahrstuhlmusik funktioniert bis heute.
Franka Potente spielt super, Anna Loos als Gretchen gewinnt während des Films, die anderen Darsteller*innen haben teilweise Mühe, die manchmal hölzernen teilweise unnötig erklärenden Dialoge plausibel rüberzubringen. Symptomatisch für die Probleme deutscher Schauspielkunst ist die Schlussszene, die mit den Credits gezeigt wird. Die zwei Student*innen hier liefern einen Dialog wie in einer mittelmäßigen Theaterinszenierung. „Guckt mal, wir schauspielern und deswegen machen wir das alles EXTRA etwas anders.“ Auch die deutsche Unart, Darsteller*innen wahlweise nuscheln oder schreien zu lassen, trübt den guten Gesamteindruck von „Anatomie“ ein wenig. Und klar, die Geschichte ist over-the-top. Dennoch: Von Horrorfilmen dieses Formats könnte es aus deutschen Landen gerne mehr geben!
Trivia: Die Plastinate im Film sehen zwar aus wie aus Gunther von Hagens „Körperwelten“, sind aber anders als diese nicht echt. Dennoch sind die Objekte so detailgetreu gestaltet, dass die am Filmset beschäftigten medizinischen Berater überlegt haben sollen, sie anschließend zu Lehrzwecken zu nutzen.
Anna Loos singt den Song "My Truth" selbst. Zu hören ist er, als die von ihr gespielte Gretchen Sex mit Phil (Holger Speckhahn) hat.
Am Anfang des Films sieht man die Rapperin Sabrina Setlur als eine Studentin der Uni Heidelberg.
IMDB-Rating: 6 von 10
Letterboxd-Rating: 2.9 von 5
Neft-Rating: 3.5 von 5
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