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Satanas – Das Schloss der blutigen Bestie (mit Audio)

Vincent Price in Hochform

 USA, vereinigtes Königreich 1964

 Regie: Roger Corman

 Laufzeit: 89 Minuten

 

Handlung: Italien im 12. Jahrhundert. Während die Landbevölkerung im nahenden Winter darbt, feiert Prinz Prospero mit seinen Hofschranzen ein vergnügliches Fest nach dem anderen. Auch als eine Seuche – der Rote Tod – ausbricht, hält der eiskalte Prinz nicht inne, sondern verriegelt nur die Tore für alle, die vor der tödlichen Krankheit in sein Schloss flüchten wollen. Vorher hat er aber noch die junge Francesca samt ihrem Vater und ihrem Geliebten entführt. Während Prospero die beiden Männer in grausamen Spielen töten will, hat er für die gottesfürchtige Jungfrau andere Pläne. 

 

Besprechung: Zum ersten Mal habe ich den Film als Kind gesehen. Zumindest Teile davon. Meine älteren Geschwister feierten eine Party, meine Eltern waren nicht da und ich nutzte die Gelegenheit für ein bisschen Spät-TV. Und kaum hatte ich das Gerät eingeschaltet, hatte mich Vincent Price auch schon in den Bann geschlagen. Einen derartig faszinierenden Fiesling hatte ich noch nicht gesehen. Und dann diese deutsche Synchronstimme! Die Farben! Das düstere mittelalterliche Setting und die aufwühlende Geschichte einer Tyrannenherrschaft: Ich war völlig aus dem Häuschen. Als gerade eine großbusige Frau in edlem Zwirn von einem Raben zerhackt wurde, kam eine meiner Schwestern reinspaziert und riet mir sanft, das nicht zu gucken. Einerseits war ich erleichtert, denn ich hatte es längst wirklich mit der Angst zu tun bekommen. Andererseits: Jetzt wo meine Schwester da war, hätte ich den Film doch gerne weitergesehen. Es konnte doch nicht angehen, dass dieser Prinz Prospero mit seinen Schweinereien durchkam. In was für einer Welt lebten wir denn da eigentlich?

 

Zum zweiten Mal sah ich den Film als junger Mann. Mittlerweile hatte ich viele Horrorfilme gesehen, viele davon deutlich krasser aber wenige krasser betitelt als "Satanas – Das Schloss der blutigen Bestie" (Originaltitel: „The Masque of the Red Death“). Und erstaunt stellte ich fest: Der Film funktioniert noch immer.

 

Jetzt habe ich ihn gerade wieder gesehen und bin wieder begeistert. Die wenigen Grusel- und Gewaltszenen sind aus heutiger Sicht völlig harmlos, der Film ist es aber nicht. Die Darstellung des zynischen Weltbildes der herrschenden Klasse, das eigentlich Ausdruck von Resignation und zerstörtem Glauben an die Menschlichkeit ist, ist heute genauso aktuelle wie damals. Und der Sadismus, der in diesem starken B-Movie zentral ist, wird von Vincent Price brillant verkörpert. Die Pathécolor-Farbigkeit ist umwerfend, manche Frames erinnern in ihrer Primärfarben-Fixierung an Dario Argento Filme, oder eher: Dario Argento Filme erinnern in einzelnen Frames an "Satanas – Das Schloss der blutigen Bestie". 

 

Toll finde ich auch, dass hier gleich zwei Kurzgeschichten von Edgar Allan Poe eingeflochten wurden: die komplexe Fabel "Die Maske des roten Todes" und die harte Rachegeschichte "Froschhüpfer" (Hop Frog). Das letzte Drittel hätte ich mir noch etwas orgiastischer und surrealer gewünscht, da bleibt Cormans Inszenierung leider auf halber Strecke stehen, wo doch die Vorlage so viel hergibt! Dennoch: ein wirklich toller Film, der zu keiner Sekunde langweilig ist und bis heute nichts von seinem Reiz verloren hat.

 

Trivia: In einem ausführlichen Interview in "Cinema Retro" (Nr. 18) erklärte Roger Corman "Satanas" neben "Weißer Terror" (1962) und "Der Mann mit den Röntgenaugen" (1963) zu seinen persönlichen Lieblingen unter den eigenen Filmen

 

Das war der erste Film, den Corman (aus finanziellen Gründen) in England drehte. An das Beharren der britischen Filmcrfew auf ihren Fünf-Uhr-Tee musste er sich mühsam gewöhnen.

 

Die Lederrüstungen, die Prosperos Soldaten im Film tragen, sind die gleichen Modelle, die einige Gladiatoren in Ridley Scotts "Gladiator" (2000) tragen.

 

Am Ende des Films sehen wir nicht nur den roten Tod, sondern auch noch seine Spießgesellen: Den schwarzen Tod (Pest), den goldenen Tod (Lepra), den violetten Tod (Porphyrie), den blauen Tod (Cholera), den gelben Tod (Gelbfieber), den weißen Tod (Tuberkulose), und eben den roten Tod (Tollwut). Die letzten Worte, die der rote Tod spricht, sind "sic transit gloria mundi" ("Da geht der Ruhm der Welt dahin").

 

IMDB-Rating: 6.9 von 10

Letterboxd-Rating: 3.6 von 5

Neft-Rating: 4 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Beim Schauen des Filmes habe ich mir wieder einmal Gedanken darüber gemacht, warum es immer wieder passiert, dass Psychopathen herrschen und ihnen die Mehrheit aus der Hand frisst, oder ihnen zumindest nicht die Machtbefugnis entzieht. Und ich habe mich gefragt, ob es eine psychologische Erklärung für den Sadismus gibt, also die Freude daran anderen Schmerz zuzufügen. 

 

1987 wurde die Diagnose einer „sadistischen Persönlichkeitsstörung“ in das DSM-III-R (Diagnostisches und Statistisches Handbuch der Geisteskrankheiten) aufgenommen. In neueren Ausgaben findet sich das Krankheitsbild jedoch nicht mehr, da es wohl einerseits an Evidenz dafür fehlte und zum anderen die Sorge aufkam, verbrecherische Akte und grausames Verhalten könnten dadurch zu leicht als „Störung“ rechtfertigt und die Täter als weniger schuldfähig eingestuft werden. Sadismus kann – wie beim Namensgeber des Phänomens, dem französischen Schriftsteller Marquis de Sade – sexuell aufgeladen sein. Das Leiden anderer dient dann dem erotischen Lustgewinn und sexuelle Akte werden damit verknüpft, das Gegenüber zu demütigen und zu quälen. Beim sogenannten „kompensatorischen Sadismus“ ersetzt die sadistische Handlung komplett den Sexualakt. Einvernehmlich sexuelle Akte aus dem Bereich des BDSM (Bondage/Fesselung und Sado-Masochismus) mit abgesprochenen Rollen und „safe words“ gelten nach heutigem Verständnis nicht mehr als Störung der Sexualpräferenz, wohl aber Handlungsweisen, in denen die Einvernehmlichkeit des Gegenübers nicht gegeben oder bewusst ignoriert wird. 

 

Um einer Antwort auf die Frage näher zu kommen, wie Menschen zu Sadisten werden, dürfte es hilfreich sein, etwas weiter zu differenzieren. Der amerikanische Psychologe Theodor Milton, der noch von einer sadistischen Persönlichkeitsstörung ausging, unterschied vier Typen (1): 

 

Der „explosive Sadist“ ist unberechenbar und wird gemein, verletzend und zerstörerisch, wenn er sich missachtet oder erniedrigt fühlt. Seine Wut ist massiv, unkontrollierbar und grausam. Menschen mit der Diagnose „Borderline“ können explosive Sadisten sein.

 

Der „rigide Sadist“ verbirgt seine Antriebe hinter der guten Sache für das öffentliche Interesse. Nicht selten hat er auch zwanghafte Züge. Als Boss, Polizist, Soldat, Richterin oder Politikerin kann dieser Typus je nach äußeren Umständen extremen Sadismus praktizieren, ohne dafür belangt zu werden. In diktatorischen Regimen wie der Naziherrschaft oder dem Stalinismus kann dieser Typus sich besonders gut ausleben.

 

Der „rückgratlose Sadist“ sucht sich wehrlose Sündenböcke und versteckt sich in Gruppen, um seinen Sadismus auszuleben. Er ist ängstlich, selbst unterwürfig und unsicher und kann Kennzeichen einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung aufweisen. Dieser Typus zählt zu den Mitläufern wie wir sie auch im Film am Hofe von Prinz Prospero erleben.

 

Der „tyrannische Sadist“ genießt das Bedrohen und die brutale Behandlung anderer. Widerstand stimuliert diesen oftmals kühl kalkulierenden Typen nur mehr. Er will die Unterwerfung des Gegenübers und nutzt dazu manipulatives und missbräuchliches Verhalten. Prinz Prospero in „Satanas“ entspricht ziemlich genau diesem Typus.

 

Natürlich sind Diagnosen und Typen wie die oben genannten nur grobe Kategorien und keine in Stein gemeißelten Naturgesetze. Trotzdem finde ich sie hilfreich, um zu sehen, dass sadistisches Verhalten unterschiedlich praktiziert und tendenziell auch unterschiedlich motiviert sein kann. Und wahrscheinlich gibt es auch den unauffälligen „Alltagssadisten“ (2), der unter anderen Umständen krasser agiert. Und so gibt es wohl auch nicht die EINE Motivation hinter sadistischem Verhalten und einer entsprechenden Veranlagung. Ein paar Erklärungen sind: 

 

1. Ein Sadist hat ein besonders hohes Bedürfnis nach Macht und Kontrolle. Er fürchtet das Ungewisse, Unkontrollierbare. So sah es zum Beispiel Erich Fromm, der in seinem Klassiker „Anatomie der menschlichen Destruktivität formulierte: „„[…] daß der Kern des Sadismus ist, absolute und uneingeschränkte Herrschaft über ein lebendes Wesen auszuüben, ob es sich nun um ein Tier, ein Kind, einen Mann oder eine Frau handelt.“

 

2. Ein internationales Team von Wissenschaftler*innen führte die problematischen Charakteristika von Sadisten, Psychopathen und Narzisstinnen auf wenige grundlegende Faktoren zurück, die zusammen den sogenannten „dark factor“ ergeben (3). Wer testen will, wie hoch sein eigener dark factor ist, findet hier einen Test.

 

3. Andere Wissenschaftler*innen wollen herausgefunden haben, dass vor allem Langeweile sadistische Impulse wecken kann, und manche Menschen deutlich schneller gelangweilt sind. (4)

 

4. Natürlich gibt es auch psychoanalytische Theorien, die versuchen, Sadismus zu erklären. Nach Freud durchlaufen Kinder eine anal-sadistische Phase, in der Menschen bei ungünstigen Entwicklungsbedingungen stecken bleiben können. Sadismus ist so betrachtet etwas Unreifes, eine Regression ins Infantile. Heutige Psycholog*innen sprechen auch von einer „Entwicklungsanomalie“. Sadismus wird auch als Abwehrmechanismus betrachtet, der das Ich vor dem Zusammenbruch schützt. (5)

 

Wie sich an diesem knappen und unvollständigen Überblick bereits erahnen lässt: Die Materie ist komplex, an interessanten Theorien über Ursachen für die Freude an Grausamkeit mangelt es nicht, aber es handelt sich eher um Hypothesen und Spekulationen als um gesicherte Erkenntnisse.

 

(1) https://www.alpfmedical.info/personality-disorders-2/the-sadistic-personality.html

(2) https://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-der-sadist-unter-uns-1.1799935

(3) https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2Frev0000111

(4) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33030934/

(5) https://netlibrary.aau.at/obvuklhs/content/titleinfo/2409166/full.pdf (Seite 54 ff.)

 

Lektürehinweis: Erich Fromm: „Anatomie der menschlichen Destruktivität.“ Aus dem Englischen von Liselotte und Ernst Mickel. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1974

 

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