Maues Prequel
• Kanada, USA 2023
• Regie: Lindsey Beer
• Laufzeit: 87 Minuten
Die Handlung beginnt viele Jahre vor den Ereignissen aus „Friedhof der Kuscheltiere“, aber am gleichen Ort, nämlich 1969 in Ludlow. Hier lebt der noch junge Jud Crandall, der die Kleinstadt gerne verlassen würde, um sich dem Friedenscorps anzuschließen. Als jedoch sein Freund Timmy Baterman ziemlich verändert aus dem Vietnamkrieg zurückkehrt, wird Jud mit dem dunklen Geheimnis konfrontiert, das nicht nur den Ort sondern auch seine eigene Familie umgibt.
Diesen Film habe ich vor zwei Wochen gesehen und bereits fast komplett vergessen. Das sagt eigentlich alles, was man wissen muss. Der neue Teil der Kuscheltier-Reihe ist noch nicht einmal schlecht genug, um in Erinnerung zu bleiben, er ist einfach nur ziemlich egal. Dabei klingt die Idee erst einmal ansprechend: das Jahr 1969 zwischen Hippieträumen und Vietnamkrieg, der alte „Indianerfriedhof“ und seine kolonialistische Vorgeschichte und endlich auch Native Americans als wichtige Charaktere im Film. Auch ist die Filmmusik ganz cool und es gibt ein paar nette Bilder (zum Beispiel die Sonnenblumenfelder oder eine hübsche Tanzszene). Ich habe mich auch gefreut Henry Thomas wiederzusehen, den ich vor allem aus Serien und Filmen von Mike Flanagan kenne (zuletzt „Der Untergang des Hauses Usher“). Aber die guten Ansätze summieren sich leider nicht zu einem befriedigenden Ganzen, der Film zerfällt mit fortlaufender Spielzeit immer mehr. Es fehlt an Spannung und Atmosphäre, an einer wirklich packenden Geschichte und an Figuren, die mich interessieren. Die Schauspieler*innen sind zwar nicht schlecht, aber die verkörperten Charakteren besitzen mit Ausnahme von Donna nur wenig Charisma. Ohne Abspann ist der Film zwar angenehme 80 Minuten kurz, kam mir aber gerade im letzten Drittel trotzdem ziemlich lang vor.
Als Horrorfilmfans werdet ihr den Film wahrscheinlich so oder so gucken. Vergleicht ihn nicht mit irgendwas mit "Pet Sematary" im Titel, bedenkt, dass es ein Regiedebüt ist und erwartet nicht viel. Vor allem keine gut geschriebene Story. Dann könnt ihr vermutlich ganz nette 80 Minuten in Ludlow verbringen. Die Title Card und die unsinnige Fango-Packung gen Ende sind sogar richtig cool. Lustig finde ich auch, dass die Regisseurin mit Nachnamen Beer heißt. Immerhin hieß bereits einer der beiden Regisseure vom Remake Kevin Kölsch. Ich erkenne da ein Muster.
IMDB-Rating: 4.7 von 10
Letterboxd-Rating: 2 von 5
Neft-Rating: 2
// HOPSYS GEDANKEN
Der aus dem Vietnamkrieg nach Hause zurückgekommene Timmy Baterman ist stark verändert. Er wirkt nicht ganz da, ist dann plötzlich reizbar und aggressiv. Leidet er vielleicht an dem, was wir heute Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nennen? Der Begriff wurde tatsächlich durch die Arbeit mit Veteranen des Vietnamkriegs geprägt und vermutlich durch die US-amerikanische Psychologin Judith Lewis Herman eingeführt. Natürlich kannte man entsprechende Symptome schon früher und sprach bei Soldaten je nach Jahrzehnt von „shell shock“, „battle fatigue“ oder „combat stress reaction“ (1). Entsprechende Beschreibungen des Krankheitsbildes finden sich schon in antiken Quellen (zum Beispiel aus Ägypten und Assyrien) oder etwa bei Shakespeare (Lady Percys Monolog in Henry IV). Als weitere moderne Wegbereiter bei der Erforschung von Kriegstraumata und ihren Auswirkungen sind neben Judith Lewis Herman auch Robert Lifton, Chaim Shatan oder Jonathan Shay zu nennen. Auch der heute weltweit bekannte Trauma-Experte Bessel van der Kolk entwickelte sein Interesse am Thema, als er 1978 mit Vietnam Veteranen zusammenarbeitete und versuchte, ihren Störungsbildern auf den Grund zu gehen.
Zu den Symptomen einer PTBS zählen Schlafstörungen, Alpträume, Flashbacks, erhöhte Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit und Wutausbrüche, Konzentrationsprobleme, Vermeidungsverhalten, Teilamnesie, erhöhte Wachsamkeit (erhöhte Sensitivität) und innere Unruhe sowie Spannungszustände. Außerdem können sich als Folge dieses komplexen Krankheitsbildes Depressionen, Angststörungen und Stimmungsschwankungen entwickeln. Neben der Schwierigkeit sich zu entspannen und zur Ruhe zu kommen, klagen Menschen mit PTBS auch oft über emotionale Taubheit. Sie fühlen sich gleichzeitig aufgedreht und abgestellt, übererregt und ohne nennenswerte Gefühle. Da diese Zustände anstrengend und unbefriedigend sind, haben Menschen, die an PTBS leiden, eine deutlich höhere Neigung, zu Suchtmitteln zu greifen, um sich etwas Entspannung zu gönnen und sich mal ein paar Stunden „normal“ zu fühlen. Auch die Suizidrate ist bei Menschen mit PTBS deutlich höher.
Natürlich leiden auch Menschen an dieser chronischen Belastungsreaktion, die nicht im Krieg gewesen sind. Generell gilt, wer in einer tatsächlich oder gefühlt lebensbedrohlichen Situation besonders hilflos gewesen ist und keine instinktive Kampf- oder Fluchtreaktion ausagieren konnte, ist besonders häufig von einer Traumafolgestörung betroffen. PTBS ist eine davon, es gibt noch andere, auf die ich ein anderes Mal eingehen möchte. Übrigens sprachen Ann Wolbert Burgess und Lynda Lytle Holmstrom 1975 von einem RTS (Rape Trauma Syndrom), um den Fokus auch auf Frauen zu lenken, die durch Vergewaltigung traumatisiert worden waren und an entsprechenden Folgestörungen litten (2). Der Begriff konnte sich zumindest in Deutschland nicht durchsetzen, wohl aber das Bewusstsein für ein umfassenderes Verständnis von Traumata und Traumafolgestörungen. Sexualisierte Gewalt gerade in jungen Jahren erlebt und verübt durch nahe Bezugspersonen kann massive posttraumatische Belastungsreaktionen auslösen. Auch häusliche Gewalt oder die Konfrontation mit Gewalt gegen andere kann zu PTBS führen. Eine Studie (3) aus dem Jahr 1979 konnte nachweisen, dass manche der Menschen, die die Toten des Sekten-Suizids von Jonestown bergen mussten (darunter viele halbverweste Kinderleichen), später PTBS-Symptome zeigten, die in der Studie als „Dysphoria“ (also Freudlosigkeit) bezeichnet wurden (4).
Der Themenkomplex „Trauma und Traumafolgestörung“ ist in Horrorfilmen wie im echten Leben zentral. Er wird uns deshalb hier bei Horror & Psychologie noch öfter begegnen. Die nach meinem Wissen besten Bücher zum Thema habe ich unten angegeben. Es lohnt sich, mindestens das Buch von Bessel van der Kolk zu lesen, denn die Lektüre erweitert den Blick auf sich selbst, andere Menschen und grundlegende Themen unserer und anderer Gesellschaften. Ein tieferes Verständnis von Trauma ist meines Erachtens ein wichtiger Schlüssel, um „Menschsein“ besser begreifen zu können.
(1) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3181586/
(2) https://en.wikipedia.org/wiki/Rape_trauma_syndrome
(3) https://apps.dtic.mil/dtic/tr/fulltext/u2/a115592.pdf
(4) https://time.com/longform/jonestown-aftermath/
Lektürehinweise:
• Judith Hermann: „Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden.Junfermann Verlag, Paderborn 2014 [Die amerikanische Originalausgabe erschien 1992 unter dem Titel „Trauma and Recovery“]
• Bessel van der Kolk: „Das Trauma in dir. Wie der Körper den Schrecken festhält und wie wir heilen können.“ Ullstein, Berlin 2023 [Die amerikanische Originalausgabe erschein 2014 unter dem Titel „The Body Keeps the Score. Brain, Mind, And Body in the Healing of Trauma“]
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