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Eden Lake (mit Audio)

Harter Terrorfilm über gewalttätige Jugendliche

 Großbritannien 2008

 Regie: James Watkins

 Laufzeit: 91 Minuten

 

Ein normal-nettes Paar aus der Mittelschicht macht einen Wochenendtrip zu einem halbwegs unberührten See. Bald soll dort eine Gated Community für die Reichen entstehen. Noch aber lungern hier Jugendliche herum, deren Eltern sich so ein Resortleben nie werden leisten können. So trifft das Paar an einem sonst menschenleeren Ufer des Sees ein paar schlecht gelaunte Kids gewaltbereiter Eltern. Die Halbstarken sind auf Krawall gebürstet und der männliche Teil des Paares (Michael Fassbender) will sich nicht alles gefallen lassen. Es wird sehr unangenehm.  

 

Die dichte, realitätsnähe Inszenierung, die konsequente Gewaltspirale und die beeindruckende Performance von Kelly Reilly („True Detective“) machen den Film zu einem Nerventest für Fortgeschrittene. Stark auch, wie zurückhaltend der Film seinen sozialen Kommentar einflicht. Weniger stark: die teils kitschige Musik. 

 

In meinen Augen eignet sich der Film gut als Ausgangsmaterial für ein Partyspiel. Erst guckt man zusammen den Film, dann erklärt jede und jeder, wie er oder sie sich an Stelle von Jenny oder Steve verhalten hätte, wo die beiden ganz offensichtlich dumm gehandelt haben und wo man ihre Entscheidungen gut nachvollziehen kann. Und anders als im echten Leben: Der Mensch mit den besten Argumenten gewinnt.

 

IMDB-Rating: 6.7 von 10

Letterboxd-Rating: 3.3 von 5

Neft-Rating: 4 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

„Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“ 

 

Dieses Zitat wird Aristoteles (384 – 322 v.u.Z.) zugeschrieben. Ähnliche Aussagen finden sich bei Sokrates oder in noch älteren Texten, zum Beispiel auf babylonischen oder sumerischen Tontafeln (1). Entsprechend ist auch „Jugendgewalt“ ein Thema, das immer wieder medial aufflackert. Drei Fragen habe ich mir dazu beim Angucken von „Eden Lake“ gestellt: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Klasse und Jugendgewalt und welchen zwischen Eltern- und Jugendgewalt? Und: Sind Jugendliche heutzutage gewalttätiger als vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren?

 

Das Thema ist komplex, aber andererseits gut erforscht. Zentrale kriminologische Forschungsergebnisse für Deutschland (2), die sich sicher auch weitgehend auf andere Länder übertragen lassen, sind:

 

Das Jugendliche Mist bauen, ist weitverbreitet und normal. Meist handelt es sich dabei um Bagatellvergehen wie Schwarzfahren, Ladendiebstahl, Sachbeschädigung, Alkohol- oder Cannabiskonsum unterhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Alters. Längsschnittstudien zeigen, dass sich das delinquente Verhalten im Erwachsenenalter in der Regel nicht fortsetzt, also mehrheitlich episodenhaft auftritt und als Teil des Reifungsprozesses betrachtet werden kann. Dazu zählt auch körperliche Gewalt wie bei Prügeleien unter Gleichaltrigen. Die große Mehrheit der Jugendlichen wird dabei höchstens ein oder zweimal bei der Polizei auffällig. Eine kleine Minderheit wird jedoch öfter auffällig und begeht außerdem schwerere Straftaten unter die dann Jugendgewalt im engeren Sinne fällt: nämlich (schwere) Körperverletzung und Raub. Dabei zeigt sich, dass Jugendgewalt zum einen häufig in der gleichen Alters- und Geschlechtsgruppe verübt wird. Jugendliche können also sowohl Täter*innen als auch Opfer sein. Und es zeigt sich, dass der Großteil der schwerwiegenden Straftaten von einer kleinen Personengruppe begangen wird, der sich durch komplexe Problemlagen auszeichnet. Dazu zählen vor allem Gewalterfahrungen in der Familie, soziale Randständigkeit, Alkoholmissbrauch, Missbrauch anderer Drogen sowie soziale Normen missachtende Freundeskreise, vor allem gewaltaffine Jugendsubkulturen wie Neonazis, Jugendbanden oder kleinkriminelle Cliquen. Ein 2010 vom Bundesministerium des Inneren und dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen durchgeführtes Forschungsprojekt stellte in seinem Abschlussbericht fest, dass Jugendliche aus muslimischen Milieus umso schlechter integriert sind, desto mehr sie durch ihr Elternhaus im Islam verankert sind. Auch brachte der Bericht folgenden Befund: „Türkische Jugendliche, die als niedrig integriert gelten, gehören zu 11,0 % zu den Mehrfachtätern von Gewalt, türkische Jugendliche mit hoher Integration nur zu 1,5 %.“ (3)  

 

Die ersten beiden Fragen lassen sich also grob so beantworten: Gewalttätige Eltern haben – wie in „Eden Lake“ – tendenziell eher Kinder, die auch gewalttätig sind. Außerdem kann „soziale Randständigkeit“ ein Auslöser für erhöhte Gewaltbereitschaft sein. Wobei diese Randständigkeit mit geringen finanziellen Mitteln zu tun haben kann, aber auch mit anderen Faktoren, die die Perspektiven von Heranwachsenden einschränken und Wut erzeugen können. So kann es ethnische oder religiöse Minderheiten geben, die sozial schlecht integriert sind und die in der Mehrheitsgesellschaft als „minderwertig“ gelten bzw. diese als „minderwertig“ betrachten. Auch besondere Belastungen im Elternhaus (psychische Krankheit, Drogensucht, Traumata) können, gerade in Verknüpfung mit zusätzlicher Belastung durch Armut, die Gewaltbereitschaft erhöhen. 

 

Hat aber die sogenannte Jugendgewalt zugenommen? Jein. Seit Jahren geht die Kriminalitätsrate generell zurück, das gilt auch für das Phänomen „Jugendgewalt“. Im Jahr 2022 hat aber die Jugendgewalt laut Polizeilicher Kriminalstatistik einen signifikanten Anstieg zu verzeichnen. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Gewalttaten von Minderjährigen um 35 Prozent gestiegen. Als Gründe dafür vermutet der BKA-Präsident Holger Münch, dass in den vergangenen Pandemiejahren psychischer Stress und innerfamiliäre Gewalt zugenommen und Jugendliche stark betroffen haben. Außerdem nennt er wirtschaftliche Probleme, die in etlichen Familien größer geworden seien, sowie die Zuwanderung von Kindern und Jugendlichen aus Kriegsgebieten, die dort mit Gewalt sozialisiert worden seien. Münch sagt aber auch, dass die auf den ersten Blick negative Entwicklung noch nicht automatisch alarmierend ist. (4) Bei dieser Einschätzung dürft eine Rolle spielen, dass die Straftaten im Jahr 2021 auch aufgrund der Corona-Ei8nschränkungen stark rückläufig gewesen sind, der Anstieg also in Relation zu sehen ist. Vergleicht man die Daten aus dem Jahr 2022 mit denen aus dem Jahr 2019 liegt der Anstieg allerdings immer noch bei 16,3 Prozent.

 

Wir werden uns dem bereits statistisch komplexen Thema auf „Horror & Psychologie“ in Zukunft noch einmal zuwenden.

 

(1) https://bildungswissenschaftler.de/5000-jahre-kritik-an-jugendlichen-eine-sichere-konstante-in-der-gesellschaft-und-arbeitswelt/

(2) https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/jugendkriminalitaet/Zahlen-Daten-Fakten-Jugendgewalt_Juni_2023.pdf (siehe Seite 9)

(3) https://kfn.de/wp-content/uploads/Forschungsberichte/FB_109.pdf (siehe Seite 10)

(4) https://www.zdf.de/nachrichten/zdfheute-live/kriminalstatistik-jugendgewalt-anstieg-video-100.html

 

Die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2022 findet sich hier: https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2022/pks2022_node.html

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