Solider, ernsthafter Mutter-Kind-Horror
• Vereinigtes Königreich, Finnland, Irland 2019
• Regie: Lee Cronin
• Laufzeit: 90 Minuten
Das Maskottchen von Savage Productions, das im Vorspann eingeblendet wird, erinnert verdammt stark an den Babadook. Zufall? Auch hier stehen eine Mutter und ihr kleiner Sohn im Zentrum. Beide sind gerade in das übliche entlegene Haus am Waldrand gezogen und versuchen, es sich dort nett zu machen. Allerdings gibt es im Wald ein riesiges Loch im Boden. Eines Nachts scheint sich der Junge dort herumzutreiben und kommt anderntags verändert zurück. Zumindest ist die Mutter nicht mehr sicher, ob das wirklich noch ihr Sohn ist.
Das ist ein solide gemachter, ernsthafter A24-Horrorfilm mit einer guten Hauptdarstellerin, die das, was ihr zur ganz großen Schauspielkunst fehlt, mit Charisma wettmacht. Die optische Gestaltung des Films finde ich ziemlich ansprechend und die irische Landbevölkerung hat sowieso immer ihren Charme. Die Metaphern sind nicht gerade subtil, funktionieren aber ebenso gut, wie die klassische und klar erkennbare Drei-Akt-Struktur. Auch ist der Score gar nicht übel, wird aber zu häufig und zu stereotyp eingesetzt. Da sind diese typischen Effekte mit dramatisch ansteigender Lautstärke -- und dann Schnitt und der Ton bricht ab. Huhu! Und wenn ich noch einmal sehe, dass jemand in einem Horrorfilm die Landschaft auf den Kopf stellt, um zu zeigen, dass es jetzt gleich echt weird wird, dann -- schreibe ich einen Leserbrief!
Lee Cronin, der es vier Jahre später mit Evil Dead Rise krachen lassen sollte, legt hier ein überzeugendes Debüt vor, das sein Potenzial allerdings nicht ganz ausschöpft, und dem die eigene Handschrift noch etwas abgeht. Die ernsten Elemente des Films erreichen nicht die Dringlichkeit eines Babadook. Und die reichlich vorhandenen Horrorelemente könnten origineller sein. Alles in allem macht der Film in meinen Augen aber deutlich mehr richtig als falsch und sei hiermit zaghaft empfohlen.
IMDB-Rating: 5.6 von 10
Letterboxd-Rating: 2.7 von 5
Neft-Rating: 3 von 5
// HOPSYS GEDANKEN
Was macht es mit dem Blick einer Mutter auf ihren Sohn, wenn ihr Ehemann gewalttätig ist? Und was mit dem Blick des Sohnes auf die Mutter, den Vater und sich selbst? Antworten auf diese Frage sind vermutlich zentral, wenn man Dynamiken patriarchaler Gesellschaften verstehen will, also solcher, in denen Männer das herrschende Geschlecht sein sollen. Wenn eine Gesellschaft von einem der beiden sozial konstruierten Geschlechter verlangt, sich unterzuordnen und emotional ausgleichend zu wirken, und vom anderen verlangt, dominant und überlegen zu sein, ist das eine so simple wie konfliktreiche „Arbeitsteilung“, ganz abgesehen davon, dass sie nur zwei soziale Geschlechter wirklich anerkennt und dadurch sehr stereotyp ist. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Männer in solchen Gesellschaften offensichtlich aggressiv sind. Zwar gibt es Studien, die nahelegen, dass Frauen genauso aggressiv sind, wie Männer (1), dabei aber indirektere Wege suchen, ihre Aggressionen auszuleben. Wenn es also um körperliche Gewalt gegen andere Männer oder die Beziehungspartnerin geht, liegen Männer weit vorne (2). Dabei soll nicht ignoriert werden, dass auch Männer Opfer häuslicher Gewalt werden (Das Ärzteblatt spricht immerhin von mindestens einer Million Betroffenen.) (3) Im Film „Das Loch im Boden“ ist die Gewalt aber augenscheinlich vom männlichen Partner ausgegangen. Dessen Sohn ist einerseits sensibel, interessiert sich andererseits aber durchaus für das gewalttätige Potenzial, das mit Männlichkeit verknüpft zu sein scheint. Er zertritt vor den Augen seiner Mutter eine Spinne, so "wie Papa es gemacht" hätte, er guckt gewalttätige Filme, träumt von Überlegenheit und Stärke, will beim Armdrücken gewinnen. Und womöglich sind das genau die Interessen und Verhaltensweisen, die seine Mutter unbewusst alarmieren. Hat sie nicht am eigenen Leib die Verletzungen erlebt, die diese „Männlichkeit“ mit sich bringt? Müsste sie ihren Sohn nicht davor bewahren, ganz so wie Herzeloyde ihren Sohn Parzival im Wald aufzieht und vor allem schützt, was ihn in Kontakt mit dem ritterlichen Erbe seines Vaters bringen könnte? Und hier kommt der Treppenwitz des Patriarchats zum Tragen: Indem Mütter ihren Söhnen die „dunkle Seite“ der Maskulinität austreiben wollen, verstärken sie sie womöglich. Denn irgendwannn hat der Junge nur zwei Möglichkeiten: Er bleibt Mamas unmännlicher Sohn und von ihr abhängig, oder er wirft sie mal eben über den Tisch wie in „Das Loch im Boden“. Also metaphorisch gesprochen.
(3) https://www.aerzteblatt.de/archiv/186686/Haeusliche-Gewalt-gegen-Maenner-Unbeachtet-und-tabuisiert
Siehe zum Thema Aggression und Gewalt bei Männern und Frauen auch wissenschaftlich vertiefend: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fnbeh.2018.00081/full
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